Am 19. und 20. Mai 2017 fand am Institut für Protest- und Bewegungsforschung die zweitägige internationale Konferenz „Riots. Violence as Politics?“ des AK Riots statt. Die Konferenz widmete sich zwei Tage lang in verschiedenen Formaten dem Phänomen sogenannter „riots“. Neben allgemeinen Diskussionen zur Begrifflichkeit und verschiedenen als „riot“ bezeichneten Phänomenen beschäftigte sich die Tagung insbesondere mit den Protesten gegen die Arbeitsmarktreform in Frankreich 2016 sowie verschiedenen Protestformen gegen Polizeigewalt in Pariser Banlieue-Vorstädten.
Der erste Tag der Konferenz führte die „Riot“-Workshopreihe fort, die seit Dezember 2013 am ipb stattfindet. Vier Präsentationen waren zuvor über einen Call for Contributions ausgewählt worden. Rui Coelho (Scuola Normale Superiore, Pisa) machte den Auftakt mit seiner Präsentation zum Thema „Forms-of-life as insurrectionary forces“. Er eröffnete mit Giorgio Agambens Konzept der Lebensform eine theoretische Perspektive auf Protestereignisse, die häufig als „riots“ beschrieben werden. Anschließend stellte Tareq Sydiq (Philipps-Universität Marburg) seine Forschung zur Rolle von Raum und kollektiver Identitätsbildung für Protesthandeln im Kontext autoritärer Staaten vor. Burak Uzümkesici (Technische Universität Istanbul) näherte sich den Gezi-Protesten auf originelle und ansprechende Weise, indem er Ton- und Bildaufnahmen der Proteste vorführte und Ideen und Ansätze zur Rolle von Geräuschkulisse und -erzeugung im Kontext von Protesten und zur Verbindung von „riot“ und „noise“ präsentierte. Paul Grassin (Sciences Po, Paris) untersuchte am Beispiel von urbanen Protesten in Malawi die diskursiven Zuschreibungen an „riots“ und Strategien des Labeling von Teilnehmenden, die deren Handlungen als „demonstrators“ oder „rioters/thugs“ entweder legitimieren oder delegitimieren.
Den zweiten Teil des Tages gestalteten die von den Organisator*innen eingeladenen Autor*innen des Themenheftes „riots“ der Zeitschrift sub\urban – Zeitschrift für kritische Stadtforschung. Prof. Dr. Marilena Simiti (Universität Piräus) stellte in ihrer Keynote eine Zusammenfassung unterschiedlicher wissenschaftlicher Zugänge zu „riots“ vor, bevor sie zusammen mit den anderen Gästen an der im Anschluss folgenden Podiumsdiskussion teilnahm. Die Autorinnen des Themenheftes stellten zu Beginn der Podiumsdiskussion zunächst kurz ihre publizierten Aufsätze vor und diskutierten anschließend zentrale, von den Herausgeber_innen des Themenheftes und Organisator*innen des Workshops aufbereitete Aspekte und Fragestellungen. Ziel war es u.a., strittige Punkte wie bspw. die Unschärfe des Riot-Begriffes kontrovers zu diskutieren und für weitere Forschungen fruchtbar zu machen.
Der zweite Konferenztag konzentrierte sich schließlich auf als „riot“ verhandelte massenhafte Ausschreitungen in Frankreich. Das Thema Polizeigewalt diente dabei als verbindendes Thema zwischen den Protesten gegen das Arbeitsmarktreformgesetz 2016 sowie urbanen Jugendaufständen und Protesten gegen Polizeigewalt in Pariser Banlieue-Vorstädten.
Zunächst gab der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Fabien Jobard (Centre Marc Bloch) einen soziogeographischen Überblick über die kurz zuvor stattgefundenen Präsidentschaftswahlen in Frankreich und zeigte dabei wichtige Zusammenhänge zwischen der Verteilung von Wahlstimmen für Le Pen und Macron sowie der Genese lokaler sozialstruktureller Entwicklungen in verschiedenen Banlieue-Vorstädten auf.
Im Anschluss hielt Bernard Schmidt, Aktivist, Journalist und Jurist aus Paris, einen Vortrag mit dem Titel „Carte blanche à la police! Frankreich zwischen Ausnahmezustand, sozialem Massenprotest gegen die ‚Loi Travail‘ und Polizeigewalt“, in dem er sich mit aktuellen politischen Entwicklungen in Frankreich seit der Verhängung des Ausnahmezustands und der Rolle von Nuit debout im Kontext der Proteste gegen die Änderung des Arbeitsrechts beschäftigte.
Für die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Proteste gegen Polizeigewalt in der Pariser Banlieue“ waren drei Gäste aus Paris und verschiedenen Banlieue-Vorstädten eingeladen: Marwan Mohammed (Soziologe am Centre Maurice Halbwachs, Paris), Fatima Ouassak (Politologin und Autorin, Bagnolet) sowie Almamy Kanouté (militanter Aktivist und Mitbegründer der Bewegung Émergence, Fresnes). Die Podiumsdiskussion wurde simultan ins Deutsche übersetzt. Die Moderation übernahm Fabien Jobard.
Die drei Panelist*innen stellten zunächst kurz ihre Erfahrungen und ihre Arbeit in den Communities verschiedener Banlieue-Vorstädte vor. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere das Alltagsleben von Jugendlichen in den sozialräumlich marginalisierten Wohnvierteln vieler Banlieue-Vorstädte von Rassismus und Polizeigewalt geprägt ist. Mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten wiesen Mohammed, Ouassak und Kanouté auf die Relevanz politischer Bildungsarbeit, der Kriminalitätsprävention und eines zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus und Polizeigewalt hin. Dabei stellten sie auch die Notwendigkeit der Verknüpfung dieser Arbeit in den Vorstädten mit anderen emanzipatorischen Kämpfen heraus. In diesem Zusammenhang wurde zum Teil auch mit kontrastierenden Sichtweisen aus dem Publikum gestritten. Insbesondere die Frage nach (Un-)Möglichkeiten der politischen Zusammenarbeit mit Teilen der nicht-rassifizierten französischen Linken wurde kontrovers diskutiert.
Der Link zum Audio-Mitschnitt der Podiumsdiskussion in französischer Sprache befindet sich auf der Seite des AK Riots.
Auf Telepolis und im Neuen Deutschland hat Peter Nowak über die Konferenz berichtet.
Organisiert wurde die Konferenz von Janna Frenzel, Philippe Greif, Fabian Klein und Sarah Uhlmann. Ein von ihnen als Gastredaktion herausgegebenes Themenheft zu „Riots“ erschien im April 2016 bei sub\urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung.
Die Konferenz wurde gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung und das Centre Marc Bloch.
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Bild: Ville de Vélizy @wikimedia commons, Creative Commons 3.0