Blog

Pride im Visier

Seit 2018 schreiben Autor*innen des ipb in einer eigenen Rubrik des Forschungsjournals Soziale Bewegungen: “ipb beobachtet”. Die Rubrik schafft einen Ort für pointierte aktuelle Beobachtungen und Beiträge zu laufenden Forschungsdebatten und gibt dabei Einblick in die vielfältige Forschung unter dem Dach des ipb. Zu den bisher erschienenen Beiträge, die alle auch auf unserem Blog zu lesen sind, geht es hier. Der folgende Text von Sabine Volk erschien unter dem Titel „Pride im Visier. Rechtsextremismus, Queerfeindlichkeit und die aktuelle Bewegungsforschung” im Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 38, Heft 3.

Die deutsche Protestlandschaft der vergangenen Jahre kennzeichnet eine signifikante Zunahme queerfeindlicher Mobilisierungen: Öffentliche Veranstaltungen der queeren Community, insbesondere Christopher Street Days (CSDs), wie die internationalen pride parades auf Deutsch heißen, wurden durch teils gewalttätige „Gegenproteste“ gestört (Autor*innenkollektiv Feministische Intervention 2025). Auch außerhalb von CSDs kam es in den letzten Jahren vermehrt zu öffentlichen Mobilisierungen gegen die queere Community, beispielsweise gegen sogenannte Drag Queen Story Hours (DQSH)– Lesungen von Drag Queens und Kings für Kinder (Volk 2025). Damit sind in Deutschland nun Entwicklungen zu beobachten, die die Protestlandschaften anderer Länder und Regionen, insbesondere in Mittel- und Osteuropa, schon länger prägen (Graff/Korolczuk 2022; Norocel/Paternotte 2023).

Der Großteil der queerfeindlichen Proteste in Deutschland kommt aus dem rechtsextremen Spektrum, welches inzwischen ein koordiniertes, mehrdimensionales Netzwerk von Bewegungs- und Parteiakteuren sowie Subkulturen umfasst (Weisskircher 2024). Rechtsextreme Akteure treten als Organisator*innen und Teilnehmende queerfeindlicher Mobilisierungen auf; rechtsextremes Gedankengut prägt Parolen und Protestsymbolik. Im sächsischen Bautzen beispielsweise marschierten am 10. August 2024 Hunderte sehr junge Rechtsextreme unter dem Motto „Gegen Gender-Propaganda und Identitätsverwirrung!!!“ auf, skandierten Losungen wie „Nazikiez“, zeigten verfassungswidrige Symbole und versuchten, Regenbogenflaggen zu verbrennen.

Damit gibt es nun keinen Zweifel mehr, dass queere Lebensformen ganz im Fokus der gewaltbereiten rechtsextremen Bewegung stehen. Die Bewegungsforschung hat diese Entwicklung allerdings bislang nur unzureichend erfasst. Die Literatur befindet sich noch in einem Frühstadium eines systematischen Analyseschemas an der Schnittstelle zwischen Rechtsextremismus, Queerfeindlichkeit, Protestmobilisierung und Gewalt: Es fehlt an klaren Konzeptualisierungen sowie an empirischen Erhebungen und belastbaren Zahlen zu rechtsextremen Mobilisierungen.

Mit dem übergeordneten Ziel, die queerfeindliche Mobilisierung durch die extreme Rechte auf die Agenda der (deutschsprachigen) Bewegungsforschung zu setzen, formuliert dieser Beitrag einige dringende Forschungsaufgaben. Er betont dabei systematische Analysen der Mobilisierungsmechanismen wie auch der rechtsextremen Akteure sowie der Netzwerke und ihrer Mobilisierungs- und Rekrutierungsstrategien, gerade auch im digitalen Raum. Außerdem hebt er die Erforschung der Auswirkungen auf die queere Community sowie die wissenschaftlich-fundierte Suche nach möglichen Gegenstrategien hervor. Der Beitrag buchstabiert diese Aufgaben im Anschluss an einen nun folgenden, kurzen Literaturüberblick weiter aus.

1 Queerfeindlichkeit und Gewalt in der extremen Rechten

Antifeminismus, inklusive Frauen-, Homosexuellen-, Queer- und Transfeindlichkeit, ist zweifelsohne ein beständiges Charakteristikum der extremen Rechten (Bitzan 2017). Auch wenn sich rechtsextreme Akteure in Westeuropa teils offen gegenüber (weißer, bürgerlicher) Homosexualität zeigen (Wielowiejski 2024), so ist doch die geschlechtliche und sexuelle Diversität, die sich binären Kategorien verwehrt, mit einem die rechtsextremen Ideologien beherrschenden hierarchischen Autoritarismus schlecht vereinbar (Pirro 2023; Spierings 2020). Tatsächlich propagieren deutsch(-sprachige) rechtsextreme Akteure mindestens seit 2023 ein heteronormatives und patriarchal geprägtes metapolitisches Gegenprojekt zum immer sichtbarer werdenden queeren pride month: den sogenannten #Stolzmonat, eine digitale Kampagne, die völkischen Nationalismus und Antifeminismus in den sozialen Medien verbreitet (Salhi 2025).

Das Ausmaß rechtsextremer, teils gewalttätiger (Straßen-) Protestmobilisierung gegen geschlechtliche und sexuelle Minderheiten, insbesondere im Rahmen öffentlicher Settings wie CSDs, ist jedoch neuartig. Gegenproteste und Gewalttaten nahmen nach der Coronapandemie bundesweit drastisch zu (Bundeskriminalamt 2024): Schon 2023 häuften sich queerfeindliche Vorfälle im pride month Juni, wie das Berliner Register (2023) vermerkt. Für das Jahr 2024 zählten Forschende am Center for Monitoring, Analysis, and Strategy (CeMAS) bundesweit 28 CSDs mit rechten Gegenmobilisierungen im Zeitraum Juni bis September (Mellea/Düker 2024: 4). Das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In 2025) beobachtete 32 Fälle. Dabei unterscheidet das AK Fe.In zwischen Demonstrationen/Kundgebungen und „Störungen“ wie Sachbeschädigung und Körperverletzung.

Beide Berichte identifizieren Sachsen als Hotspot queerfeindlicher Mobilisierung: Im sächsischen Bautzen gingen mit bis zu 700 am meisten Personen gegen den CSD auf die Straße; in Leipzig, Görlitz und Döbeln waren es ebenfalls mehrere Hundert. Der Dresdner CSD wurde von einer vergleichsweise kleinen Gruppe Rechtsextremer mit rund 90 Teilnehmenden gestört.

Obgleich die Häufung von Fällen rechtsextremer Mobilisierung und Gewalt in Sachsen einem langfristigen Trend folgt (Backes 2020), ist das Phänomen nicht auf Ostdeutschland beschränkt. Auch in West-, Süd- und Norddeutschland gab es im Jahr 2024 Gegenmobilisierungen und Störungen von CSDs, wenn auch mit kleineren Teilnehmendenzahlen (Autor*innenkollektiv Feministische Intervention 2025). In Berlin planten Rechtsextremist*innen einen großangelegten Angriff auf den CSD, welcher jedoch von der Polizei verhindert wurde. Nicht zuletzt machte das württembergische Albstadt, eine frühere NPD-Hochburg, bundesweit Schlagzeilen, nachdem rund 70 Anhänger*innen der regionalen Identitären Bewegung und der Jugendorganisation der Heimat (ehemals NPD) aufmarschierten und Straßen geschlossen werden mussten (Klebitz 2024).

Eine offensichtliche Erklärung für den Anstieg der Proteste und gewaltsamer Angriffe im Allgemeinen liegt in aktuellen Entwicklungen in der (inter-)nationalen Politik. Die extreme Rechte in Europa fühlt sich gestärkt insbesondere durch US-Präsident Donald Trump, der transphobe Rhetorik zur Regierungspolitik geadelt hat. Zudem scheint der elektorale Erfolg der AfD – seit jeher eine antifeministische und queerfeindliche Partei (Lang 2017) – den gewaltbereiten Rechtsextremen Aufschwung zu geben. Tatsächlich ist die von einer lesbischen Frau geführte Partei zwar nicht klar homophob, aber doch stark heteronormativ und traditionalistisch geprägt: In Sachsen spricht sie sich in ihrem Parteiprogramm etwa dafür aus, dass Kinder zu ihrem „Schutz“ nicht an CSDs teilnehmen dürfen (AfD Sachsen Parteiprogramm 2024: 2).

2 Der Auftrag der Protest- und Bewegungsforschung

Die aktuelle queerfeindliche Protestlandschaft trifft auf einen unzureichenden Forschungsstand in der Protest- und Bewegungsforschung. Sowohl in Deutschland als auch international gibt es kaum systematische wissenschaftliche Erhebungen zu queerfeindlichen Demonstrationen. Das einschlägige Far-right Protest Observatory (FARPO)1 welches Datensätze zu rechtsextremen Protesten in Europa in den letzten zwanzig Jahren online verfügbar macht, codiert keine queerfeindlichen Angriffe, sondern fokussiert sich auf rassistische (auf Englisch meist „nativistische“), law and order sowie wirtschaftlich motivierte Proteste (Castelli Gattinara/Froio/Pirro 2022).

So sind es bisher in erster Linie Autor*innen aus dem aktivistischen und zivilgesellschaftlichen Spektrum, die Daten zu den rechtsextremen Protesten gegen CSDs in Deutschland erfasst und publiziert haben. Für das Jahr 2024 waren dies allen voran die oben genannten Thinktanks CeMAS und AK Fe.In. Auch international sind Thinktanks wie etwa das Institute for Strategic Dialogue momentan führend, wenn es um die Sammlung und Analyse von Angriffen auf geschlechtliche und sexuelle Minderheiten geht (u. a. Squirrel/Davey 2023).

Während es sich bei diesen Berichten um sorgfältig recherchierte und somit weitgehend belastbare Daten und Analysen handelt, steht es doch außer Frage, dass auch die wissenschaftliche Bewegungsforschung nachziehen muss. Gerade im Hinblick auf die relationalen Mobilisierungsmechanismen im Rahmen von Protesten und Gegenprotesten (movement-countermovement) kann die Bewegungsforschung einen bedeutenden Beitrag leisten. Dieser Beitrag beinhaltet sowohl das Verstehen und Erklären von rechtsextremen Protesten gegen CSDs (und andere queere Veranstaltungen im öffentlichen Raum) wie auch die Entwicklung von wissenschaftlich-fundierten Gegenstrategien.

Die folgenden drei Problembereiche 1) Konzepte und Definitionen, 2) Mechanismen der Mobilisierung, insbesondere Akteure, Instrumente und Frames, und 3) Auswirkungen und Gegenstrategien scheinen dabei von besonders akuter Bedeutung zu sein.

Konzepte und Definitionen

Zunächst muss die queerfeindliche Mobilisierung, u. a. gegen öffentliche Veranstaltungen wie CSDs oder DQSHs, klar und an internationale Debatten anschlussfähig definiert werden. Der Begriff „queerfeindlich“ ist im deutschsprachigen Diskurs seit dem Erstarken der Neuen Rechten ab ungefähr 2013 geläufig. Er umreißt das Wesen rechtsextremer Mobilisierungen recht klar: Das Adjektiv „queer“ kann als „anti-normativ“ gefasst werden (Ahmed 2014: 149) und beschreibt so prägnant das Motiv rechtsextremen Hasses und Verschwörungsdenkens, nämlich die autoritäre Ablehnung von Diversität bzw. Abweichungen von der binären Geschlechternorm (Christoph 2023). Gleichzeitig ist der Begriff in der internationalen englischsprachigen Forschungslandschaft nicht direkt anschlussfähig, da diese anstatt queer hostility eher Konzepte wie anti-gender oder spezieller transphobia, trans panic und trans misogyny benutzt (Amery/Mondon 2024; Gill-Peterson 2024).

In jedem Fall sollte die Forschung an bereits verankerte Debatten, insbesondere im weiten Feld des „Antifeminismus“, anschließen. Der Antifeminismus-Begriff bezeichnet allgemeiner die politisch-organisierte Mobilisierung gegen die Gleichstellung der Geschlechter und für die Stärkung heteronormativer, patriarchaler Gesellschaftsbilder (Lang/Peters 2018). Es ist weithin belegt, dass Antifeminismus als Brückenideologie fungiert, die Akteure mit unterschiedlichen ideologischen und organisatorischen Hintergründen verbindet (Graff/Korolczuk 2022) – in Deutschland etwa Parteiakteure wie die AfD, Rechtspopulisten und Rechtskonservative bis hin zu Bewegungsakteuren, Medienplattformen und Subkulturen wie den Identitären oder der Coronaleugnungs-Szene (Volk 2025).

Die Konzeptualisierung rechtsextremer Proteste gegen die öffentliche Sichtbarkeit und Performanz queerer Lebensformen sollte zudem auch in Beziehung zu den Demonstrationen der queeren Community gesetzt werden. Handelt es sich bei den reaktionären Aufmärschen parallel zu CSDs um punktuelle „Gegenproteste“ – auch wenn dies implizieren würde, das CSDs „Proteste“ sind?

Oder stehen jene vielmehr in der Tradition rechtsextremer Mobilisierung gegen gesellschaftliche Diversität wie etwa gegen Einwanderung und Asyl?

Inwiefern fügen sie sich ein in das auf lange Sicht angelegte metapolitische Projekt der Neuen Rechten, den liberalen Konsensus zu schwächen und gar zu überwinden (Maly 2024)?

Antworten auf diese Fragen schaffen nicht nur definitorische Klarheit, sondern machen die Erforschung des vergleichsweise neuartigen Phänomens queerfeindlicher Mobilisierung anschlussfähig an besser erforschte Problembereiche.

Mechanismen der Mobilisierung

Zudem sollte sich die Bewegungsforschung alsbald auf die Mobilisierungsmechanismen von queerfeindlichen Protesten fokussieren, um das Geschehen zu verstehen und Abläufe zu erklären. Welche Akteure und Netzwerke gibt es und wie mobilisieren sie Ressourcen sowohl materieller als auch ideeller Art? Zur Beantwortung dieser Frage könnte die Bewegungsforschung hier mit ihrem Methodenrepertoire – u. a. Protestereignisanalysen, Protestbeobachtungen und Netzwerkanalysen – einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Akteurskonstellationen und Netzwerke leisten.

Aus der internationalen Forschung ist bekannt, dass die europäische extreme Rechte längst Teil einer transnationalen anti-gender Bewegung ist, die sich gegen die Liberalisierung von Geschlechterrollen und Sexualitäten sowie für ein patriarchales, heteronormatives System in Stellung bringt (Paternotte/Kuhar 2017). Sie ist von unterschiedlichsten Trägern wie ultrareligiösen Zirkeln, erzkonservativen Regierungen sowie von der extremen Rechten geprägt (Ayoub/Stoeckl 2024). In den USA und in Großbritannien spielen zudem radikalfeministische und lesbische Organisationen, die sich gegen Transrechte positionieren, eine zunehmend wichtige Rolle (Habed/Henninger/Beck 2024).

Aus deutscher Perspektive stellt sich nun die Frage, welche Akteure mit welcher Funktion beteiligt sind. Berichte legen nahe, dass bestehende rechtsextreme Netzwerke, etwa aus dem Bereich der Jugendorganisationen von bekannten Parteien wie Heimat und Dritter Weg, mit neueren, explizit gewaltbereiten Akteuren aus der Kampfsport-Szene und den sogenannten active clubs Protestallianzen formen (Mellea/Düker 2024). Letztere scheinen sich gerade durch ihre Teilnahme an queerfeindlichen Protesten als Teil der extremen Rechten zu konstituieren.

Besondere Aufmerksamkeit gilt auch der Rekrutierung von Teilnehmenden an queerfeindlicher Mobilisierung, die in erster Linie digital stattfindet. Wir kennen bis zu einem gewissen Grad das Ausmaß rechtsextremer, verschwörungsideologischer und misogyner Onlineplattformen, die für diese Mobilisierung infrage kommen (Weisskircher 2020; Virchow 2025). Neben weitverbreiteten sozialen Medien wie Telegram, die während der Coronapandemie eine große Rolle spielten (Kiess 2023; Fielitz 2024), gibt es inzwischen eine Vielzahl an dezidiert extremen Plattformen innerhalb der sogenannten manosphere (Mannosphäre), die Hass gegen Frauen und Minderheiten verbreitet (Jasser/Wankmüller 2020). Gleichzeitig belegen die Forschenden vom CeMAS, dass auch „Mainstream“-soziale Medien wie Instagram, WhatsApp und TikTok im Sommer 2024 zur Rekrutierung genutzt wurden (Mellea/Düker 2024).

Neben den Akteuren und Instrumenten der Mobilisierung sind nicht zuletzt kulturelle Repertoires wie Protestperformanzen, Sprache und Symbolik von Bedeutung für das tiefere Verständnis queerfeindlicher Mobilisierung. Inwiefern diffundieren die master frames der transnationalen anti-gender Bewegung– etwa „Schutz“ von Kindern und Frauen vor Gender-Ideologie und Transpersonen (Schmincke 2015) – über nationale und regionale Grenzen hinweg? Wie werden sie auf lokaler Ebene – denn aller Protest ist letztlich auch lokal – rezipiert, reproduziert und anschlussfähig an bestehende Protestrepertoires gemacht?

Zum Beispiel wissen wir bereits, dass in Mittel- und Osteuropa die sogenannte Gender-Ideologie in einen fingierten historischen Kontext von Faschismus und Kommunismus eingebettet sowie als westlich-koloniales Projekt gerahmt wird (Korolczuk/Graff 2018). Somit gilt es zu erforschen, ob ähnliche frames in Ostdeutschland zu beobachten sind sowie die Anschlussfähigkeit dieser frames an weitverbreitete antifeministische und transfeindliche Einstellungen zu prüfen (Kalkstein/Pickel/Niendorf 2024).

Auswirkungen auf queeren Aktivismus und Formulierung von Gegenstrategien

Die zunehmende Mobilisierung gegen CSDs zeigt bereits Folgen für die queere Community. Im Jahr 2024 musste in Bautzen die Afterparty abgesagt werden, da die Polizei die Sicherheit der Teilnehmenden nicht garantieren konnte – ein symbolischer Sieg für die extreme Rechte. Auch haben die rechtsextremen Angriffe zu zusätzlichen finanziellen Kosten geführt, etwa im Hinblick wachsender Sicherheitskosten für CSDs.

Während die Bedrohungslage also zunehmend sichtbar wird, ist das Wissen über wirksame Gegenstrategien bislang unzureichend. Hier liegt ein dringender Forschungsauftrag vor – nicht zuletzt deshalb, weil sich Erkenntnisse aus der Literatur gegen Rechtsextremismus anwenden lassen könnten. So hat etwa die Forschung zur Mobilisierung gegen die rechtsextreme PEGIDA gezeigt, dass breite gesellschaftliche Bündnisse, lokale Verankerung und symbolpolitische Rückeroberung öffentlicher Räume entscheidend für demokratische Gegenmobilisierungen sind (Schmitz/Marg 2017; Vüllers/Hellmeier 2022)

Auch international existieren theoretische Ansätze, die Mobilisierungen gegen reproduktive und sexuelle Rechte im Hinblick auf die Dynamik von Bewegung und Gegenbewegung analysiert haben (Fillieule/Broqua 2020). Allerdings blieb die Rolle der extremen Rechten als spezifischer Akteur bisher unterbelichtet – dabei liegen aus anderen Mobilisierungsfeldern, insbesondere dem Thema Zuwanderung, erhebliche organisatorische und narrative Erfahrungen vor.

Zukünftige Forschung sollte daher mögliche Abwehrstrategien systematisch erfassen und evaluieren. Diese Strategien umfassen mehrere Ebenen, wie etwa:

  1. die Allianzbildung zwischen der queeren Community, zivilgesellschaftlichen Organisationen wie antifaschistischen Gruppen und etwa auch kirchlichen Einrichtungen,
  2. die Auswirkungen behördlicher Maßnahmen und polizeilicher Reaktionen,
  3. die Möglichkeiten und Grenzen rechtlicher Instrumentarien wie des Versammlungsrechts und der strafrechtlichen Verfolgung, und nicht zuletzt
  4. die Entwicklung digitaler Abwehrstrategien wie Monitoring, Sperrungen oder Gegenkampagnen in den einschlägigen sozialen Medien.

Solch ein wissenschaftlich begleiteter Katalog wirksamer Gegenmaßnahmen wäre ein zentraler Beitrag der Protest- und Bewegungsforschung zur Stärkung demokratischer Öffentlichkeit, zum Schutz marginalisierter Gruppen und zur Verhinderung der Normalisierung rechtsextremer Angriffe auf queere Veranstaltungen.

3 Fazit

Die internationale pride season 2025 ist im Moment des Verfassens dieses Texts noch im vollen Gange. Bisher sind von Dresden bis Pforzheim und von Neumünster bis Regensburg bereits zahlreiche Fälle von rechtsextremen Gegenveranstaltungen, Störungen und Angriffen gemeldet worden (Düker et al. 2025). Auch wenn es noch nicht zu Gewalteskalationen gekommen ist, wird sich die Situation wohl weiter verschärfen. Länder, die lange als liberale Demokratien galten, schränken Minderheitenrechte systematisch ein, darunter allen voran die USA, aber auch das Vereinigte Königreich sowie osteuropäische Staaten wie die Slowakei, Bulgarien und Rumänien. Ungarn hat im Frühjahr 2025 pride parades praktisch verboten. Die internationale Organisation ILGA, die die queere Community teils repräsentiert, berichtet von immer weiteren Einschränkungen queerer Lebensformen und von dem zunehmenden Unsicherheitsgefühl von LGBTQIA+ Personen (ILGA Europe 2025).

Queerfeindlichkeit ist somit als wichtiger Bestandteil des organisierten Rechtsextremismus in Deutschland, Europa und darüber hinaus etabliert. Vor diesem Hintergrund brauchen Gesellschaft und Politik dringend gesichertes Wissen, um rechtsextremen Mobilisierungen gegen liberale Werte wie Minderheitenrechte etwas entgegenzusetzen. Dieser Beitrag hat argumentiert, dass die Bewegungsforschung konzeptuell und methodisch besonders gut aufgestellt ist, die ideologischen und diskursiven Grundlagen der rechtsextremen Mobilisierung zu verstehen, Mechanismen zu erklären und Gegenstrategien aufzuzeigen. So kann die Disziplin ihre Theoriebildung im Austausch mit sozialwissenschaftlichen Debatten weiter ausbauen und zugleich einen praktischen Mehrwert für das demokratische Zusammenleben erbringen.

Über die Autorin

Sabine Volk ist Postdoktorandin am Institut für Rechtsextremismusforschung (IRex) an der Universität Tübingen. Ihre Forschungsinteressen umfassen u. a. Rechtsextremismus und Antifeminismus in Deutschland und Europa. Dieser Text ist im Kontext eines Postdoc-Projekts zum Thema „The Translocal Far Right in Europe: Exploring the Mobilization Against ‘Gender’“ (REXGEN) entstanden und beruht insbesondere auf gemeinsamen Forschungsprojekten und Diskussionen mit Kolleg*innen am Center for Research on Extremism (C-REX) an der Universität Oslo.

Literatur

Ahmed, Sara 2014: The Cultural Politics of Emotion. Edinburgh: Edinburgh University Press.

Amery, Fran/Mondon, Aurelien 2024: Othering, peaking, populism and moral panics: The reactionary strategies of organised transphobia. In: The Sociological Review, online first.10.1177/00380261241242283

Autor*innenkollektiv Feministische Intervention 2025: Demonstrationen, Angriffe und Störungen: Nazis greifen queeres Leben an. Ein Rückblick auf die Pride-Saison 2024.

Ayoub, Phillip M./Stoeckl, Kristina 2024: The Global Fight Against LGBTI Rights: How Transnational Conservative Networks Target Sexual and Gender Minorities. New York: New York University Press.10.18574/nyu/9781479824830.001.0001

Backes, Uwe 2020: Sachsen: eine Hochburg rechtsmotivierter Gewalt? In: Backes, Uwe/Kailitz, Steffen (Hg.): Sachsen – Eine Hochburg des Rechtsextremismus? Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 217–232.10.13109/9783666363283.217

Berliner Register 2023: 2023: Hohe LGBTIQ*-Feindlichkeit während der Pride-Saison in Berlin. https://berliner-register.de/artikel/2023-hohe-lgbtiq-feindlichkeit-wahrend-der-pride-saison-in-berlin/

Bitzan, Renate 2017: Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rechten. In: Virchow, Fabian/Langebach, Martin/Häusler, Alexander (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 325–373.10.1007/978-3-531-19085-3_12

Bundeskriminalamt 2024: Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ*. Berlin: Bundesministerium des Innern und für Heimat. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/BMI24043-lb-lsbtiq.html

Castelli Gattinara, Pietro/Froio, Caterina/Pirro, Andrea L. P. 2022: Far-right protest mobilisation in Europe: Grievances, opportunities and resources. In: European Journal of Political Research 61(4), 1019–1041.10.1111/1475-6765.12484

Christoph, Stefan 2023: Vom ‚Großen Austausch‘ bis ‚Genderwahn‘: Verschwörungsideologische Narrative als Darstellungsform diversityfeindlicher Erzählungen. In: Mittertrainer, Mina/Oldemeier, Kerstin/Thiessen, Barbara (Hg.): Diversität und Diskriminierung: Analysen und Konzepte. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 71–86.10.1007/978-3-658-40316-4_5

Düker, Joe/Mellea, Jessa/Rafael, Simone/democ 21. Juli 2025: Rechtsextreme Mobilisierung gegen CSDs. Center for Monitoring, Analysis, Strategy (CeMAS). https://cemas.io/blog/rechtsextreme-mobilisierung-gegen-csds-2025/

Fielitz, Maik 2024: Digitale Protestmobilisierung und neue Herausforderungen für die Bewegungsforschung. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 37(3), 421–427.10.1515/fjsb-2024-0036

Fillieule, Olivier/Broqua, Christophe 2020: Sexual and reproductive rights movements and counter movements from an interactionist perspective. In: Social Movement Studies 19(1), 1–20.10.1080/14742837.2019.1709434

Gill-Peterson, Jules 2024: A Short History of Trans Misogyny. London and New York: Verso.

Graff, Agnieszka/Korolczuk, Elżbieta 2022: Anti-Gender Politics in the Populist Moment. London and New York: Routledge.10.4324/9781003133520

Habed, Adriano José/Henninger, Annette/Beck, Dorothee 2024: Introduction: Blurring Boundaries. Uncanny Collusions, Overlaps, and Convergences in the Discursive Field of ‘Gender’. In: Habed, Adriano José/Henninger, Annette/Beck, Dorothee (Hg.): Blurring Boundaries – ‘Anti-Gender’ Ideology Meets Feminist and LGBTIQ+ Discourses. 1. Aufl. Verlag Barbara Budrich, 7–22.10.2307/jj.8692983.3

ILGA Europe 2025: Annual review 2025 of the human rights situation of lesbian, gay, bisexual, trans and intersex people in Europe and Central Asia. Brussels: ILGA Europe. https://www.ilga-europe.org/report/annual-review-2025/

Jasser, Greta/Wankmüller, Agnes 2020: Alt-Right, Alt-Tech, Alt-Internet? Rechte Online Plattformen und ihre Funktion. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 33(2), 506–512.10.1515/fjsb-2020-0042

Kalkstein, Fiona/Pickel, Gert/Niendorf, Johanna 2024: Antifeminismus und Antisemitismus – eine autoritär motivierte Verbindung? In: Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Heller, Ayline/Brähler, Elmar (Hg.): Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen. Leipziger Autoritarismus Studie 2024. Gießen: Psychosozial-Verlag, 161–180.10.30820/9783837962864-161

Kiess, Johannes 2023: Euroscepticism and Local Far-Right Mobilization via Telegram in Light of the Fundamental Transformation of the Public Sphere. In: Political Studies Review, 14789299231190731.10.1177/14789299231190731

Klebitz, Julia 7. September 2024: Trotz rechter Gegendemo: Albstadt feiert bunten CSD für Toleranz. In: SWR.

Korolczuk, Elżbieta/Graff, Agnieszka 2018: Gender as “Ebola from Brussels”: The Anticolonial Frame and the Rise of Illiberal Populism. In: Signs: Journal of Women in Culture and Society 43(4), 797–821.10.1086/696691

Lang, Juliane 2017: Feindbild Feminismus: Familien- und Geschlechterpolitik in der AfD. In: Grigat, Stephan (Hg.): AfD & FPÖ: Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder. Baden-Baden: Nomos, 61–78.10.5771/9783845281032-61

Lang, Juliane/Peters, Ulrich 2018: Antifeminismus in Deutschland. Einführung und Einordnung des Phänomens. In: Lang, Juliane/Peters, Ulrich (Hg.): Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt. Hamburg: Marta Press, 13–36.10.1515/fs-2018-0046

Maly, Ico 2024: Metapolitics, Algorithms and Violence: New Right Activism and Terrorism in the Attention Economy. London and New York: Routledge.10.4324/9781003283379

Mellea, Jessa/Düker, Joe 2024: A New Generation of Neo-Nazis: Mobilizations Against German Pride Events in 2024 by Online Far-Right Youth Movements. Center for Monitoring, Analysis, and Strategy (CeMAS). https://cemas.io/en/publications/new-generation-of-neo-nazis-mobilizing-against-pride-events/cemas_-_2024-12_-_research_paper_-_new_generation_of_neonazis.en.pdf

Norocel, Ov Cristian/Paternotte, David 2023: The Dis/Articulation of Anti-Gender Politics in Eastern Europe: Introduction. In: Problems of Post-Communism 70(2), 123–129.10.1080/10758216.2023.2176075

Paternotte, David/Kuhar, Roman (Hg.) 2017: Anti-Gender Campaigns in Europe: Mobilizing against Equality. London and New York: Rowman & Littlefield International.

Pirro, Andrea L. P. 2023: Far right: The significance of an umbrella concept. In: Nations and Nationalism 29(1), 101–112.10.1111/nana.12860

Salhi, Mohamed 2025: Surprises, symbols, and mainstreaming Symbolic politics in AfD’s European elections campaign. In: Journal of Language and Politics online first.10.1075/jlp.24202.sal

Schmincke, Imke 2015: Das Kind als Chiffre politischer Auseinandersetzung am Beispiel neuer konservativer Protestbewegungen in Frankreich und Deutschland. In: Hark, Sabine/Villa, Paula-Irene (Hg.): Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: Transcript, 93–108.10.14361/9783839431443-006

Schmitz, Christopher/Marg, Stine 2017: In Bewegung gegen rechte Bewegungen: Bewegungsförmige Praxis gegen rechtspopulistische Proteste am Beispiel von NoPegida. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30(2), 59–68.10.1515/fjsb-2017-0026

Spierings, Niels 2020: Why Gender and Sexuality are both Trivial and Pivotal in Populist Radical Right Politics. In: Dietze, Gabriele/Roth, Julia (Hg.): Right-Wing Populism and Gender: European Perspectives and Beyond. transcript Verlag, 41–58.10.1515/9783839449806-003

Squirrel, Tim/Davey, Jacob 2023: A Year of Hate: Understanding Threats and Harassment Targeting Drag Shows and the LGBTQ+ Community. Institute for Strategic Dialogue.

Virchow, Fabian 2025: Hass-Rede-Freiheit – Medienhandeln der populistischen und extremen Rechten. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 38(1), 55–69.10.1515/fjsb-2025-2007

Volk, Sabine 2025: Rallying ’round the drag: Anti-gender protest and the mainstreaming of the far right. In: European Societies 27(1), 59–82.10.1162/euso_a_00009

Vüllers, Johannes/Hellmeier, Sebastian 2022: Does counter-mobilization contain right-wing populist movements? Evidence from Germany. In: European Journal of Political Research 61(1), 21–45.10.1111/1475-6765.12439

Weisskircher, Manès 2020: Neue Wahrheiten von rechts außen? Alternative Nachrichten und der „Rechtspopulismus“ in Deutschland. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 33(2), 474–490.10.1515/fjsb-2020-0040

Weisskircher, Manès (Hg.) 2024: Contemporary Germany and the Fourth Wave of Far-Right Politics: From the Streets to Parliament. London and New York: Routledge.10.4324/9781003120049

Wielowiejski, Patrick 2024: Rechtspopulismus und Homosexualität: Eine Ethnografie der Feindschaft. Frankfurt: Campus.10.12907/978-3-593-45913-4

  1. Das Far-right Protest Observatory (FARPO) ist auf https://farpo.eu/ verfügbar [letzter Abruf: Juni 2025]. ↩︎

Foto: Antifaschistischer Protest gegen transfeindliche Kundgebung vor dem Wi Spa, Los Angeles (cc-sa, Julianna Lacoste via Wikimedia)

Weitere Beiträge