Mit den Protesten gegen Rechtsextremismus bahnte sich Anfang des Jahres eine kurze aberintensive Welle an Demonstrationen und Kundgebungen ihren Weg durch die Republik: Binnen weniger Wochen machten Hunderttausende ihrem Unmut über das vom Recherchenetzwerk Correctiv enthüllte Geheimtreffen rechtsradikaler Akteure in einer Potsdamer Villa Luft. Doch war hier tatsächlich die medial vielbeschworene Mitte der Gesellschaft auf der Straße? Dieser Frage sind mit Marco Bitschnau und Sebastian Koos zwei ipb-Mitglieder vom Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz nachgegangen. In ihrer jüngst veröffentlichten Untersuchung dreier Veranstaltungen in Südwestdeutschland finden sie ein Teilnehmer:innenfeld mit geringer Protesterfahrung aber einer sichtbaren soziodemografischen Schlagseite: „Arriviert, gebildet und mit klarer Linkstendenz“ sei das Gros der Demonstranten, die häufig der gehobenen Mittelschicht entstammen und politisch in erster Linie Bündnis90/Die Grünen nahestehen. Kontraintuitiv erscheint indes ihre Haltung zur AfD: Der allgegenwärtigen Ablehnung der Partei zum Trotz spricht sich lediglich ein Drittel für ein Verbotsverfahren aus. Und auch bei der Frage nach dem Umgang mit ihren Anhänger:innen zeigt sich ein erhebliches Maß an Differenziertheit und eine Präferenz für Dialog statt Konfrontation.
In der Gesamtbetrachtung zeigt sich so, dass die Proteste gegen Rechtsextremismus zwar ein bedeutsamer Symbolerfolg waren, ihr Anliegen aber nur einen Teil der gesellschaftlichen Mitte erreicht hat. Dass verhältnismäßig wenige Wähler:innen aus dem Mitte-Rechts-Spektrum auf den Demonstrationen zu finden waren, mag man wahlweise einem Fremdeln mit dem Protestformat oder einem Mangel an organisatorischer Offenheit (im Sinne einer fehlenden Differenzierung zwischen rechts und rechtsextrem) zuschreiben. So oder so zeigt sich aber eine Kluft entlang traditioneller Ideologieprofile, die durch sozioökonomische Faktoren noch vertieft wird und letztlich ein Ausschöpfen des gesamten Protestpotentials behindert hat. Für die Zukunft bleibt spannend, ob dem bei einem Wiederaufflammen der Thematik entgegengewirkt werden kann – oder ob sich dann erst recht eine Verengung der Teilnehmer:innenbasis einstellt.
Die Studie (die keine bundesweite Repräsentativität für sich in Anspruch nimmt, sondern als Momentaufnahme zu betrachten ist) kann hier abgerufen werden.