Zehn Monate hat ein Team von über 20 Kolleg*innen aus der Protest-, Gewalt- und Polizeiforschung in einem außergewöhnlichen Projekt die Eskalation der Gewalt beim G20-Gipfel in Hamburg rekonstruiert und analysiert. Gestern wurden erste Ergebnisse bei einem Pressegespräch und einer Podiusdiskussion im Hamburger Institut für Sozialforschung vorgestellt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über das Projekt und die Inhalte, die jetzt öffentlich zugänglich sind.
Mapping #NoG20 – ein waghalsiges Projekt
Das Projekt „Mapping #NoG20. Dokumentation und Analyse der der Gewaltdynamik im Kontext der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017“ wurde direkt nach den Hamburger Ereignissen von Simon Teune und Stefan Malthaner initiiert. Innerhalb von drei Monaten sammelten sie interessierte Kolleg*innen und sicherten die Finanzierung für wesentliche Teile des Projektes. Institutionell wurde das Projekt neben dem ipb vom Hamburger Institut für Sozialforschung und dem Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin getragen. Insgesamt waren die mitforschenden Kolleg*innen auf 12 Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen verteilt. Die Arbeit war in neun Modulen organisiert, die sich aus verschiedenen Richtungen den Ereignissen näherten, z.B. mit Fokus auf die Twitter-Kommunikation oder in der minutengenauen Rekonstruktion zentraler Ereignisse (mehr zu Aufbau und Methoden des Projektes hier). In sieben Projektworkshops einigte sich das Forschungsnetzwerk auf ein gemeinsames Vorgehen und tauschte Ergebnisse aus. Unterstützt und beraten wurden die Forscher*innen durch einen hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Beirat (mit Rafael Behr, Donatella della Porta, Wilhelm Heitmeyer, Wolfgang Knöbl und Dieter Rucht). Ein wesentliches Ziel des Projektes ist es, einen Impuls für die gesellschaftliche Debatte über die G20-Proteste zu geben. Deshalb war der Zeitraum für die Projektarbeit zeitlich begrenzt. Erste Ergebnisse sollten mit der letzten Sitzung des Sonderausschusses in der Hamburger Bürgerschaft der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Erste Ergebnisse auf der Projektwebseite
Der eng getaktete und in großen Teilen auf unbezahlter Arbeit aufbauende Forschungsprozess lief auf drei Produkte hinaus:
- ein Forschungsbericht, in dem zentrale Erkenntnisse zusammengefasst sind,
- Satellitentexte: vertiefende Analysen, die Aspekte aufgreifen, die in dem knappen Bericht nicht ausreichend abgebildet werden konnten und
- eine interaktive Karte, in der nicht nur die raum-zeitliche Verortung der Ereignisse eingezeichnet ist, sondern auch wesentliche Infrastrukturen, alle mit zusätzlichen Informationen unterlegt.
Bericht, ergänzende Analysen und die Karte sind auf der Projektwebseite http://g20.protestinstitut.eu abrufbar.
Sozialwissenschaftliche Debatte auf Soziopolis
Parallel zu der Projektwebseite ging am 6. September auch ein Debattenschwerpunkt auf Soziopolis, dem größten deutschsprachigen Nachrichtenportal der Sozialwissenschaften, online. Kolleg*innen führen dort die Debatte über die angemessene Analyse und Kontextualisierung von Gewaltereignissen. Den Auftakt machen die Beiratsmitglieder Donatella della Porta und Wolfgang Knöbl mit Texten zum polizeilichen Umgang mit Protest im Spätneoliberalismus und zur Eskalation und Deeskalation von Gewaltprozessen.
Projektvorstellung im Hamburger Institut für Sozialforschung
Am Abend des 6. Septembers wurde der Bericht der interessierten Hamburger Öffentlichkeit vorgestellt. Rund 200 Zuschauer*innen verfolgten eine kurze Projektpräsentation und die daran anschließende Podiumsdiskussion, in der die Grenzen und die politischen Implikationen des Projektes deutlich wurden.
Rafael Behr, Professor für Soziologie an der Akademie der Polizei in Hamburg, stellte die analysierten Ereignisse in den größeren Kontext des polizeilichen Umgangs mit Protest. Er kontrastierte die G20-Proteste mit den jüngsten rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz, und stellte die Vorstellung in Frage, die Polizei könne einem Protest neutral gegenüber stehen. Teresa Koloma Beck, Professorin für Soziologie an der Universität der Bundeswehr München, hob die Illusion der Moderne hervor, Politik und Gewalt seien getrennte Sphären. Tatsächlich müsste die Analyse konkreter Situationen der Gewalt, die in dem Forschungsbericht im Zentrum stehen, durch eine Perspektive auf ungleiche Machtverhältnisse und gesellschaftliche Ausschlüsse ergänzt werden. Daniela Hunold, Kriminologin an der Deutschen Hochschule der Polizei, verwies auf die räumliche Dimension der Proteste, die durch vorangegangene Konflikte besetzte Stadtlandschaft und das polizeiliche Interesse, den städtischen Raum zu ordnen. Konflikte um Raum seien für die Erklärung von Eskalationsdynamiken zentral.
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Bericht zur Abholung
Der gedruckte Bericht „Eskalation. Dynamiken der Gewalt im Kontext der G20-Proteste in Hamburg 2017“ kann am Hamburger Institut für Sozialforschung (Mittelweg 36, 20148 Hamburg) und am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin (Hardenbergstraße 16-18) abgeholt werden. Fragen dazu und zum gesamten Projekt beantworten die Koordinatoren, Stefan Malthaner (Hamburg), Simon Teune und Peter Ullrich (Berlin).
Das Projekt in den Medien
NDR Zapp: Ullrich: Polizei-Tweets bei Demos wirken direkt (6.9.2018)
taz Nord: Soziologische Forschung über G20-Protest. „Wann knallt es endlich?“ (7.9.2018)
Welt: Dauerbelastung förderte Gewalteinsatz beim G-20-Gipfel (7.9.2018)
Neues Deutschland: „Falscher Ort und falscher Stil“ (7.9.2018)
Deutschlandfunk: Studie Gewalteskalation G20 Hamburg (7.9.2018)
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Gemeinsam gegen den Bullenstaat (12.9.2018)
Pi Radio: Simon Teune zur Studie „Mapping #NoG20“ (25.9.2018)
Deutschlandfunk: Studie zur Gewalteskalation beim G20-Gipfel in Hamburg (18.10.2018)