In Hamburg ist auf der Strecke geblieben, dass gegen den G20-Gipfel die größte Demonstration seit Jahrzehnten auf der Straße war. Langfristig hat die Gewalt bei Gipfelprotesten auch einen Nebeneffekt, der das Gegenteil bewirkt. […] Sie hat die Gipfel zu Medienereignissen gemacht, zu denen sich Tausende Journalist*innen akkreditieren. Die Redaktionen geben diesen Ereignissen viel Platz, der auch mit hintergründigen Artikeln gefüllt wird. Das ist ein Grund, warum Globalisierungskritik zum Teil in den Mainstream gelangt ist.
die tageszeitung, 4.10.2017: „Bei Protesten Handbremse anziehen“
Simon Teune in der taz
Dann gewöhnten sich die Menschen an Proteste. Die Gewalt nahm in der Tendenz ab, dafür zogen Demonstrationen und Kundgebungen auch wenig politische Menschen an. Selbst auf den ersten Blick unpolitische Vereinigungen wie Ärzteverbände oder Polizeigewerkschaften organisierten Proteste. Proteste wurden entspannter und ein akzeptables Mittel der Meinungsäußerung, sowohl für die Bevölkerung als auch für die Polizei, sagt Teune. Das nahm Protesten aber den Stachel. Um größere Aufmerksamkeit zu erzeugen, mussten sie kreativer werden und neue Ausdrucksformen finden.
Zeit Online, 23.8.2017: Linker Protest – Zuhören bei Kaffee und Kuchen
Simon Teune bei Zeit Online
[Die Aufgabe der Protest- und Bewegungsforschung] ist es, den Gegenstand ernst zu nehmen. Nehmen wir erneut das Beispiel der Montagsmahnwachen. Da gab es eine heiße Debatte. Die einen sagten, das ist ein rechtsradikaler Antisemitenhaufen, die anderen sagten, das ist die neue Friedensbewegung, ein Hoffnungszeichen, das die Linke endlich wieder nach vorne bringt. Wir haben gesagt, wir schauen uns das mit unserer Erfahrung bei den Demonstrationsbefragungen genauer an. Wir konnten zeigen, dass die Bandbreite politischer Positionen von humanistischem, linkem Gedankengut und Neigungen zu rechtslastigen Verschwörungsdeutungen dort tatsächlich anzutreffen war. Es gab eine Gleichzeitigkeit von sehr unterschiedlichen Aspekten. [… ] Unserer Resultate unterschieden sich daher von der politischen Diskussion, bei der bestehende Deutungsschablonen dem Phänomen Montagsmahnwachen regelrecht aufgezwungen wurden, statt genau hinzusehen, wer da wie tickt. Eine Protest- und Bewegungsforschung, wie ich sie vertrete, dient der Aufklärung über soziale Prozesse.
Junge Welt, 5.8.2017: »Der Protestforscher ist eher links bis linksliberal«. Gespräch mit Peter Ullrich. Über die Widrigkeiten im Wissenschaftsbetrieb und die Gefahren der Vereinnahmung der eigenen Forschungen durch den Staat
Peter Ullrich in der Jungen Welt
Die Grundidee ist, durch Störung Unordnung zu schaffen, und damit die Gipfel-Inszenierung zu durchbrechen. Das hat zunächst mal noch nichts mit Gewalt zu tun. Da geht es zum Beispiel um Sitzblockaden oder um den Versuch, in Sperrzonen zu kommen. Die bezeichnet die eine Seite als Schutzzone für die Politiker, die andere Seite sieht sie als demokratiefreie Zone, weil dort das Versammlungsrecht nicht gilt. Was dann passiert, ist nicht Teil eines Plans. Es ist eine Eigendynamik, die sich entfaltet, ohne dass die Demonstranten darüber noch Kontrolle haben. Es gehören ja noch andere Akteure dazu, wie die Polizei und die Politik.
Frankfurter Rundschau, 14.7.2017: Linke Gewalt hat abgenommen
Nils Schuhmacher in der Frankfurter Rundschau
Die Polizei ist auf der Straße, wo sich militanter linker Protest meist abspielt, der Repräsentant eines Staates, den Autonome und andere radikale Linke ablehnen. Daher kommt es auf Demos wie in Hamburg oft zu Zusammenstößen. Aber neben dem ideologisch motivierten Widerstand gibt es auch eine Lust am Konflikt. „Die Polizei ist der Lieblingsfeind der Autonomen, aber die Autonomen sind auch der Lieblingsfeind der Polizei“, sagt Sebastian Haunss. Es ist unklar, von wem die Eskalation bei der Welcome-to-Hell-Demo ausging.
Zeit Online, 7.7.2017: Wer ist der schwarze Block?
Sebastian Haunss bei Zeit Online
Der G20-Gipfel in Hamburg hat noch nicht begonnen, aber die Medien laufen schon über. Welchen Gesetzen die mediale Berichterstattung bei solch großen Protesten folgt, das hat das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung ermittelt. Ihre Schlagzeile: „Gewaltfixierung als Wiederholungszwang“.
Deutschlandfunk @mediasres, 4.7.2017: Journalisten fixieren sich auf Gewaltdarstellungen
Simon Teune, Moritz Sommer und Dieter Rucht im Deutschlandfunk
Während CDU und SPD sich streiten, plädiert der Berliner Sozialforscher Dieter Rucht für einen weniger aufgeregten Umgang mit dem Thema. Er fordert eine unabhängige Untersuchungskommission. „Man muss aus diesem Fall Hamburg Konsequenzen ziehen, aber nicht nur durch weitere Diskussionen ohne konkretes Ergebnis“, sagte der 71-Jährige.
Spiegel Online, 12.7.2017: Protestforscher fordert unabhängige G20-Kommission
Dieter Rucht bei Spiegel Online
Mit der Auflösung der Protestcamps auf der Halbinsel Entenwerder und dem schnellen Eingreifen bei der „Welcome to hell“-Demonstration sei eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt worden. Soziologe Ullrich spricht von einer „Kriegslogik“. Diese sei bereits vor dem G20-Gipfel von einigen militanten Linksradikalen aufgebaut worden. Aber auch die Polizei habe im Vorfeld „Horrorszenarien“ heraufbeschworen und später durch das eigene Eingreifen freigesetzt. „Das entspricht nicht einem modernen Verständnis von Versammlungsrecht“, sagt Peter Ullrich.
Berliner Morgenpost, 10.7.2017: „Hamburg war ein Rückfall in die 80er-Jahre“
Peter Ullrich in der Berlin Morgenpost
Die Ausschreitungen in Hamburg kann man ohne die Vorgeschichte nicht verstehen. Die Polizei hat von Anfang an Signale ausgesendet, dass Proteste in Hamburg keinen Raum haben. […] Diese Vorgeschichte hat dazu geführt, dass die Leute, die die Polizei als Gegner sehen und ein Zeichen des Widerstands setzen wollen, angespitzt wurden.
Süddeutsche Zeitung, 9.7.2017: „Die Strategie der Polizei ist kolossal gescheitert“
Simon Teune in der Süddeutschen Zeitung
Durch Social Media hat die Quellenvielfalt zugenommen. Neutrale Beobachter starten Live-Streams oder twittern. Als User hat man die Möglichkeit, mehrere Kanäle zu vergleichen. Hinzu kommt, dass Demonstrierende ihre Positionen und ihre eigene Sicht so unmittelbar und ungefiltert darstellen können.
WDR.de, 7.7.2017: Zum G20-Gipfel: Interview mit einem Protestforscher
Simon Teune auf wdr.de