„Es gab ein großes Vorbild, das hat sehr, sehr viele Leute beeindruckt. Das war die Situation in Italien, wo Mitte der 70er Jahre das öffentlich-rechtliche Rundfunkmonopol gekippt ist. Es gab aber keine neuen Gesetze. Das heißt, es war so eine Grauzone. Da sind ja hunderte bis tausende Radios entstanden. Und das wurde hier in der damaligen BRD sehr genau wahrgenommen. Da haben viele gesagt, das brauchen wir auch.“
Jan Bönkost auf WDR 5
Dass die Bewegung nach den Wahlen so schnell an Zulauf verlor, lag wohl auch an ihren diffusen Zielen. „Es fehlte eine Stoßrichtung, ein klarer Nenner“, erklärt Dieter Rucht. Forderungen nach „EU“, „Demokratie“ und „Frieden“ seien zwar sympathisch. Langfristig könne man damit aber kaum Unterstützer mobilisieren. „Im Grunde handelte es sich um harmlose Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltungen mit viel Symbolik, aber keinen konkreten Forderungen und strategischen Überlegungen.“
die tageszeitung, 23.01.2018: Aktivisten machen unbeirrt weiter
Dieter Rucht in der taz
Auch wenn das Projekt nicht verhindert wurde, hat der Protest die Diskussion in der Stadt und die Wahrnehmung des Projekts deutlich verändert. Die Proteste gegen Stuttgart 21 haben aber auch das Bewusstsein bei den Planenden und politisch Verantwortlichen verändert. Nach allem, was in Stuttgart passiert ist, spielt die Einbeziehung der Bevölkerung bei Infrastrukturprojekten eine größere Rolle. Dabei gibt es keine Garantie, dass das auch gut umgesetzt wird, aber es ist kaum zu vermitteln, dass die Betroffenen nicht gehört werden.
Stuttgarter Zeitung, 14.01.2018: Die Gegenargumente gelten auch heute weiter
Simon Teune in der Stuttgarter Zeitung
Es gab in der Bundesrepublik und den meisten westlichen Ländern in den fünfziger und sechziger Jahren ein relativ geringes Verständnis für Protest […] Die Polizei hat damals bei kleinsten Ungehorsamkeiten oder kleinsten Regelübertretungen, über die heute hinweggesehen würde, sehr schnell mit aller Härte reagiert – deswegen nennt man diesen Stil Legalismus. Damals hat ein starkes Umdenken angefangen und der legalistische Stil hat sich gewandelt zu einem, den man pragmatischen Stil nennt. D. h. man hat eigentlich gelernt, dass man die eine oder andere kleine Regelübertretung – ein Transparent, was mal ein bisschen länger ist als zugelassen usw. – hinnehmen kann und damit ein zentrales Ziel erreicht: nämlich die Gesamtsituation zu befrieden, dafür zu sorgen, dass Demonstrationen weniger schnell eskalieren.
Bayern 2 – Zündfunk Generator, 23.11.2017: Autoritäre Sicherheitskonzepte in postdemokratischen Zeiten
Peter Ullrich bei Bayern 2 – Zündfunk Generator
„Bewegungen werden immer dann stark, wenn sie offensiv ihre Anliegen bündeln können und an einen Adressaten, das mag auch ein symbolisches Objekt sein, richten können. Bei Europa ist das eigentlich zu diffus. Man hat keinen konkreten Anknüpfungspunkt.“ […] Auch Rucht stellt aber fest: „Es ist ein sympathisches Anliegen.“ Allerdings gebe es auch Bewegungen, die an Umarmungen erstickten. „Die Politiker freuen sich darüber.“ So sei kein Zufall, dass „Pulse of Europe“ inzwischen mit Preisen regelrecht überhäuft werde. „Das ist aber auch ein Anzeichen dafür: es tut nicht weh, es ist harmlos und man kann es beklatschen.“
Sächsische Zeitung / dpa, 18.11.2017: Ein Jahr Pulse of Europe
Dieter Rucht in der Sächsischen Zeitung / dpa
Gewalt ist einer der zentralen Nachrichtenfaktoren – sobald es dazu kommt, dominiert diese die Berichterstattung. Die Polizei genießt zudem traditionell einen sehr hohen Stellenwert in der Bevölkerung und auch in den Medien. In der Regel wird ihre Sicht der Dinge von Medien erst mal übernommen, wenn es nicht starke Hinweise darauf gibt, dass diese zu hinterfragen ist.
Neues Deutschland, 24.10.2017: »Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen«. Der Sozialwissenschaftler Peter Ullrich im Interview über die schleppende Aufarbeitung der G20-Protesttage
Peter Ullrich im Neuen Deutschland
Doch eine Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (IPB) kommt nun zu dem Ergebnis: Die Teilnehmer_innen der unterschiedlichen Demonstrationen waren sich sowohl in ihren Zielen als auch in der Frage nach legitimen Protestformen weitestgehend einig. Für ihre Analyse befragten die Forscher insgesamt 1095 Personen, die sich den Demonstrationen zum Auftakt (»Protestwelle«) und zum Ende (»Grenzenlose Solidarität«) der Gipfelwoche angeschlossen hatten. In beiden Fällen seien die Proteste »wesentlich von protesterfahrenen Teilnehmenden geprägt« gewesen, die »sich eindeutig links verorten« ließen und »über einen hohen formalen Bildungsstatus« verfügen.
Neues Deutschland, 08.11.2017: Geeint in der Kritik am Kapitalismus
G20-Forscher_innen-Team im Neuen Deutschland
In Polen haben wir es seit vielen Jahren mit einem extremen Graben zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern zu tun, der auch durch die Gesellschaft geht, dieser Riss. Das führt teilweise zu einem Gefühl, dass nichts anderes mehr hilft außer die Extremform des Aufmerksammachens.
Detektor.fm, 13.11.2017: Selbstverbrennung in Polen
Piotr Kocyba bei detektor.fm
Die Parteien und das Parteiensystem werden assoziiert mit Verfestigung, mit Geschäftsordnungen, langweiligen Reden, Fraktionskämpfen, Kompromissfindung und so weiter. Das passt für viele nicht zum Wunsch nach Veränderung, Dynamik, Angriff, dem eine „Bewegung“ zu entsprechen scheint. Mit dem Begriff meint man die Unzufriedenen besser einsammeln zu können.
Süddeutsche Zeitung, 23.10.2017: Dynamisch, jung, on marche!
Dieter Rucht in der Süddeutschen Zeitung
Zum Beispiel wurde jetzt bei den Protesten gegen G20 gesagt, diese Eskalation der Gewalt sei einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Da sage ich: Nun mal langsam. Wir hatten massive Ausschreitungen am 1. Mai in Berlin, wir hatten die ausländerfeindlichen Attacken in Rostock-Lichtenhagen, wir hatten den Terrorismus der 70er und 80er Jahre, wir hatten gewaltsame Konflikte in Brokdorf und anderswo. Ganz zu schweigen vom Ausmaß der Gewalt in anderen Ländern.
die tageszeitung, 16.9.2017: „Ich lege auch die wunden Punkte einer Bewegung offen“
Dieter Rucht in der taz