Während andere Wissenschaftler in Archiven geforscht haben, hat der Politologe seine Beobachtungen vor Ort gemacht. Im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin schildert Hertle seine Erinnerungen an die Proteste: „In der Friedensbewegung waren Kriegsdienstverweigerer, Lehrlinge und Studenten, aber auch Menschen, die auch schon den Ersten Weltkrieg erlebt hatten und dann nach den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg gesagt haben: Jetzt ist Schluss!“
Greenpeace Magazin, 23.08.2018: Kommunisten, Christen und Hippies vereint – im Kampf gegen Atomwaffen
Wolfgang Hertle im Greenpeace Magazin
Der Soziologe Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung spürt dennoch einen „diffusen Unmut„. „Vor allem die Jüngeren sind unzufrieden mit dem jetzigen Klein-Klein der Politik. Es fehlen ihnen die Visionen.“ Er möchte nicht mit einem hoffnungslosen Idealisten verwechselt werden, hält es aber sehr wohl für denkbar, dass die Mobilisierung wieder stärker wird. Mit Blick auf die jüngsten Großdemonstrationen in den USA sieht er die Möglichkeit, dass sich der Unmut zu einem grundsätzlichen politischen Engagement verstärkt. Ruchts frohe Osterbotschaft: „Das Potenzial wächst.“
Süddeutsche Zeitung, 31.03.2018: Ostermarsch im Gänseschritt
Dieter Rucht in der SZ
Märsche hätten im Vergleich zu ortsfesten Demonstrationen ein besonderes Aktivierungspotenzial, sagt Protestforscher Haunss: „Sie haben ein starkes Mobilisierungselement, weil sie auf ein Ereignis hin fokussieren.“ Es gebe eben diesen einen Marsch, bei dem man mitmachen kann – und er hat einen definierten Anfang und ein Ende. […]
Während in den USA der Begriff „March“ seit jeher tendenziell positiv besetzt ist, weil sie mit den Bürgerrechtsbewegungen der 60er- und 70er-Jahre verbunden werden, ist die Bewertung in Deutschland weniger einfach. Simon Teune, Forscher am Institut für Protest- und Bewegungsforschung, sagt, in Deutschland würden Märsche eher als „Auf-Märsche“ von rechten Gruppierungen gesehen. Protestforscher Haunss von der Universität Bremen verweist dagegen auf die Ostermärsche – die seien klassischerweise links motiviert.
Deutschlandfunk Nova, 26.03.2018: Marsch ist die neue Demo
Sebastian Haunss und Simon Teune bei Deutschlandfunk Nova
Sogenannte „Latschdemos“ wie die traditionellen Ostermärsche wirkten inzwischen „ein bisschen angestaubt„, sagt der Bewegungsforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin. „Viele der jungen Leute, die wollen sich selbst auch irgendwie betätigen, die wollen das Gesicht bunt bemalen, die wollen auch ein Stück feiern.“ Oder sie organisieren Protest im Internet: „Man sitzt zuhause, ein Mausklick – und dann hat man was für das Gewissen getan.“ Inwieweit dieser „Klicktivismus“ traditionelle Protestformen ersetzen kann, ist Rucht zufolge allerdings umstritten: „Es gibt durchaus Diskussionen, auch unter den Organisatoren, unter den Aktivisten, dass dieser Klicktivismus im Grunde schädigend ist.“
Deutschlandfunk Kultur, 03.04.2018: Ein Mausklick für das gute Gewissen
Dieter Rucht bei Deutschlandfunk Kultur
Natürlich ist niemand gegen Frieden. Aber wenn man genauer hinschaut, kommt man schnell in die Bredouille, sich in komplizierten Konflikten positionieren zu müssen. Die erste Generation, die die Ostermärsche organisierte, hatte selbst noch Kriegserfahrung, da war die Parole „Nie wieder Krieg!“. In den 1980er Jahren stand im Kalten Krieg nicht weniger als die Auslöschung der Menschheit auf der Tagesordnung. Da war es leichter, Stellung zu beziehen. Heute ist die Konfliktlage viel diffuser. Wenn man zum Beispiel sagt: „Kein Krieg gegen Russland“, läuft man Gefahr, die russische Außenpolitik reinzuwaschen.
die tageszeitung, 31.3.2018: „Friedenspolitik hat ihre Unschuld verloren“
Simon Teune in der taz
Ein wichtiger Punkt ist, dass Jugendliche moralisch sensibel sind. Über die Kluft zwischen dem, was da offiziell an hehren Werten verkündet wird, und dem, was real passiert, können sie sich sehr empören. Erwachsene sind da abgebrühter. Sie haben in der Tendenz schon fast ein zynisches Verhältnis zur Politik.
ntv.de, 28.3.2018: „Die Jungen sind moralisch sensibler“
Dieter Rucht auf ntv.de
Die AfD hat ja auch viele Proteste mit organisiert und hat lange so getan, als hätte sie mit Pegida nichts zu tun – aber inhaltlich gab es da nie eine Trennungslinie zwischen den beiden. Es kann gut sein, dass viele Leute, die in dieser Welle auf die Straße gegangen sind, auch sagen: Wir haben jetzt die AfD gewählt, die übernimmt ab jetzt, und ich muss jetzt gar nicht mehr auf die Straße gehen.
Deutschlandfunk Kultur, 21.3.2018: Hauptsache irgendwie bewegt?
Simon Teune im Deutschlandfunk Kultur
[Die] Erfolge der sozialen Bewegungen zeigen auch, wie geschmeidig und anpassungsfähig unser Politik- und Wirtschaftssystem ist. Protest werde teilweise assimiliert und dadurch ungefährlich, so Dieter Rucht. Wenn Protest bestimmte Fehlentwicklungen innerhalb einer Gesellschaft benennt, kann die Politik diese korrigieren. Daraus gehe das Gesamtsystem gestärkt hervor.
Greenpeace Magazin, 16.3.2018: Protest wirkt als Frühwarnsystem unserer Gesellschaft
Dieter Rucht im Greenpeace Magazin
Vielleicht finden die Studierenden und die Dienstleister in Zukunft wieder in Gewerkschaften zusammen. Viele Studierende, zum Beispiel Leute von der Occupy-Bewegung, gehen wieder in die Gewerkschaften und modernisieren sie von innen. Ich sage nicht, dass wir an der Schwelle zu einer neuen sozialen Bewegung stehen, aber die Menschen sind offener für Diskussionen. Schauen Sie nach Grossbritannien: Dort konnte ein alter, authentischer Linker wie Jeremy Corbyn die Jungen für die Labour Party mobilisieren.
Tageswoche, 14.3.2018: «Ich bin Soziologe – aber auch Sozialist»: Oliver Nachtwey tritt Nachfolge von Ueli Mäder an
Oliver Nachtwey in der Tageswoche
Ich bin total froh, dass der Begriff Frauenkampftag seit einigen Jahren wieder genutzt wird und die Frauen ihren Protest gegen die Ungerechtigkeit auf die Straße tragen. Denn der Rechtsruck in der Gesellschaft ist nicht nur in der AfD zu finden, sondern auch bei den selbsternannten „Lebensschützern“ und anderen konservativen Kreisen. Dass dieser Protest auf die Straße getragen wird, ist sehr wichtig.
ZDF heute, 08.03.2018: Kampf um Gleichstellung–„Es gibt noch viel zu tun“
Gisela Notz auf zdf.de