Protestbewegungen haben in den seltensten Fällen so großen Einfluss, dass ihre Proteste unmittelbar zu Gesetzesänderungen führen. Wichtig ist, … dass sie es schaffen, ihre Themen auf die politische Agenda zu setzen. Sie können also die öffentliche Debatte prägen.
mdr recap, 31.3.2023: „Letzte Generation“: Wie radikal darf Protest sein?
Manès Weisskircher (TU Dresden)
Schon bei Demonstrationen mit wenigen Hundert Teilnehmern kann die Polizei ihre Kamerawagen auffahren oder sogar ihre Kameradrohnen in der Luft kreisen lassen – dies genügt aus Sicht der Rechtsprechung meist schon als „unübersichtliche“ Lage, die Übersichtsaufnahmen rechtfertigt. Und heikel daran ist, zumindest aus der Sicht von Kritikern, dass eine Identifizierung einzelner Personen zwar weiter die Ausnahme sein soll. Aber welcher Betroffene kann beim Anblick einer Kamera schon so genau unterscheiden, ob er oder sie nun als Teil einer Masse gefilmt wird – oder doch individuell? Ein Abschreckungseffekt sei jedenfalls zu befürchten, meint etwa der Polizeirechtler Clemens Arzt, der an der Berliner Polizeihochschule lehrt.
Süddeutsche Zeitung, 29.3.2023: Strengere Regeln für Demonstrationen
Clemens Arzt (HWR Berlin)
[Für die neue Welle von Streiks und Protesten] gibt es viele Faktoren. Einerseits die Inflation, die im letzten Jahr zu vier Prozent Reallohnverlust geführt hat. Andererseits ein gesteigertes Bewusstsein für Ungerechtigkeit in der Gesellschaft und nicht zuletzt auch das Bewusstsein einer neuen Macht der Arbeitnehmer*innen.
3Sat Kulturzeit, 27.3.2023: Streik im Land der Ungleichheit
Oliver Nachtwey (Uni Basel)
Inzwischen ist die ganze linke Szene [in den USA] durchdrungen von diesen Geldgeberstrukturen. Jede Stiftung, auch die progressiven – und es gibt wirklich tolle Stiftungen –, hat ihren eigenen Kopf und setzt ihre eigenen Ziele, beziehungsweise modifiziert die Zielsetzung der Organisationen vor Ort. Das heißt, dass die Empfänger kaum ihre eigene Programmatik entwickeln können. Sie sind in einer dauerhaften finanziellen Abhängigkeit von externen Geldgebern gefangen.
nd aktuell, 26.3.2023: „Die Demokraten haben sich nicht fundamental gewandelt“
Margit Mayer (TU Berlin)
Auch das politische System [in Frankreich] fördert Protest. Zum einen, weil Streiks hier oftmals das erste Mittel sind, um in Verhandlungen zu treten – und nicht, wie in Deutschland, eher das letzte. Zum anderen, weil sich gegen einen zentralistischen Staat, sagt Becker, leichter opponieren lässt. „Solch einen Staat kann man leichter verantwortlich machen.“
Zeit Campus, 23.3.2023: Warum politisiert die Rente so viele junge Menschen in Frankreich?
Johannes Maria Becker (Uni Marburg)
Mit ihren Aktionen habe es die Letzte Generation innerhalb eines Jahres geschafft, sich zu einem wichtigen Teil der Klimabewegung zu entwickeln. Sie sei „unignorierbar“ geworden, wie die Gruppe selbst bilanziert. Durch zivilen Ungehorsam habe die Gruppe selbst „in der Polykrisensituation, in der wir uns durch Coronapandemie, Ukrainekrieg und Klimawandel gerade befinden, die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise gelenkt“, so Neuber.
die tageszeitung, 22.3.2003: Erfolg statt Erpressung
Michael Neuber (TU Berlin)
In Frankreich sind Proteste weniger vorhersehbar als bei uns. Das liegt unter anderem an den Gewerkschaften, die viel radikaler agieren. Es gibt dort politische Richtungsgewerkschaften, zum Beispiel eine sozialdemokratisch orientierte, eine kommunistisch orientierte und sogar eine zuweilen trotzkistisch maoistisch agierende Gewerkschaft.
Frankfurter Rundschau, 21.3.2023: Gewalt in Paris: Warum eskaliert es in Frankreich immer wieder – und in Deutschland nicht?
Johannes Maria Becker (Uni Marburg)
In den USA und in Deutschland zum Beispiel ist die Klimabewegung insgesamt sehr bildungsnah – und auch sonst nicht besonders divers. […] Eine Sprecherin von Ende Gelände gab 2019 schon gegenüber dem Spiegel zu, die Vereinigung sei insgesamt noch „super akademisch, super weiß, super städtisch“, doch man würde daran arbeiten. Den hohen Bildungsgrad in der Bewegung belegen auch die Zahlen: Über zwei Drittel der Erwachsenen, die etwa mit FFF protestieren, haben einen Hochschulabschluss, wie eine Befragung vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) zeigt.
utopia.de, 14.3.2023: Warum junge Frauen die Klimabewegung voran treiben
Befragungen bei Fridays for Future
Wenn wir darüber sprechen, wie viel zivilen Ungehorsam die Demokratie verträgt, dann muss man auch über die Beschränkungen von Demokratie sprechen, dass sie immer nationalstaatlich verfasst ist und dass sie systemisch kurzsichtig ist, weil um die nächste Wahlentscheidung geht. Das heißt es wird Politik für die ältere Generation gemacht, nicht für zukünftige Generationen. Es wird Politik gemacht für Menschen, die in Deutschland leben und von dem Wohlstand profitieren und nicht für die Menschen, die in anderen Teilen der Welt leben.
Deutschlandfunk Kultur, 10.3.2023: Wie viel zivilen Ungehorsam verträgt die Demokratie?
Simon Teune (FU Berlin)
Klar ist für Anderl: Öffentliche Entrüstung und damit mediale Aufmerksamkeit erzielt die „Letzte Generation“ erfolgreich. Doch ob sie dadurch Zuspruch gewinnt und politische Veränderungen bewirkt? „Da haben wir aktuell eine gemischte Bilanz“, sagt der Wissenschaftler.
hr Hessenschau, 7.3.2023: Marburgs OB verteidigt Einigung mit Klima-Aktivisten
Felix Anderl (Uni Marburg)