Es werden ja auch von anderen Gruppen andere Wege beschritten. Aber keiner dieser Wege, seien es Studien aus der Wissenschaft, seien es die Massendemonstrationen der Fridays for Future oder seien es die Störaktionen vor Ort – die haben im Grunde auch keinen Durchbruch gebracht. Dieser Durchbruch ist auch nicht zu erwarten von den Aktionen der Letzten Generation allein.
SZ Podcast Auf den Punkt, 21.4.2023: Protestforscher zu „Letzter Generation“: „Forderungen sind eher Nebenschauplätze“
Dieter Rucht (WZB)
Es besteht die Gefahr, dass sich das Aktionsmoment verselbstständigt, weil es auf hohe Aufmerksamkeit in den Medien zielt. Wenn das Erregen von Aufsehen aber zum Hauptzweck wird, geraten die Überzeugungsprozesse in den Hintergrund. Der Letzten Generation mangelt es an strategischer Überlegung, wie Mehrheiten zu gewinnen sind.
die tageszeitung, 20.4.2023: Protestfoscher über Letzte Generation: „Ein nachvollziehbarer Plan fehlt“
Dieter Rucht (WZB)
Was Nachtwey da beobachtet, ist ein Suchen nach Ordnung, Rettung und Seelenfrieden. Er sagt in Anlehnung an den Philosophen Georg Lukács, in vielen seiner Tiefeninterviews zeige sich eine »transzendentale Obdachlosigkeit des modernen Menschen«. Dieser wisse nicht, wohin mit seinem Leid. Also gehe er damit in die Öffentlichkeit und finde dort Gefährten. Sie klagen gemeinsam, klagen an.
Zeit Online, 20.4.2023: Prorussische Propaganda: „Russland ist nicht aggressiv!“
Oliver Nachtwey (Uni Basel)
Dass die „Letzte Generation“ keine Partei gegründet hat, sei kein Zufall. „Sie geht bewusst den Weg des öffentlichen Drucks, denn diese Zutat ist es, die aktuell nicht ausreichend vorhanden ist“, sagt Shemia-Goeke. „Eine Partei erfolgreich zu etablieren, dauert sehr lange. Das passt nicht mit dem Hauptargument der ‚Letzten Generation‘ zusammen, wonach die Zeit in der Klimakrise extrem drängt. Für den langen Marsch durch die Institutionen ist es dann zu spät.“
Frankfurter Rundschau, 20.4.2023: „Letzte Generation“ als Partei? Protestforscherin ist sich sicher: „Dafür ist es zu spät“
Dalilah Shemiah-Goeke (Uni Wollongong)
Man versucht dadurch, eine Erwartungshaltung aufzubauen und sich als Gesprächsthema in die Presse zu bringen und dadurch potenzielle Sympathisant*innen dazu zu bringen, an solchen Aktionen teilzunehmen. Gleichzeitig will man ein gewisses Drohpotenzial aufbauen.
Watson.de, 19.4.2023: Geht die Letzte Generation zu weit? Protestforscher ordnet Kritik an Klimabewegung ein
Jannis Grimm (FU Berlin)
„Aus Perspektive der Widerstandsforschung kann ich sagen: Strategische Bewegungen intensivieren ihren Protest über die Zeit, wenn sie wachsen und dann mit mehr Menschen von symbolischen Aktionen übergehen zu mehr tatsächlichen politischen oder gar wirtschaftlichen Druck.“ Deswegen müsse die „Letzte Generation“, wenn sie erfolgreich sein will, in ihren Aktionen variabel bleiben und ihr Repertoire erweitern. „Insofern ist die Ankündigung, Berlin lahmlegen zu wollen, nur logisch. Der Protest wird intensiviert“, sagt Shemia-Goeke.
Frankfurter Rundschau, 19.4.2023: „Letzte Generation“ will Berlin lahmlegen: Warum die Klima-Aktivisten am Scheideweg stehen
Dalilah Shemia-Goeke (Uni Wollongong)
Die neu-rechte Mobilisierung spielt sich vor dem Hintergrund der großen Krisen der vergangenen zwanzig Jahre und sich verändernder gesellschaftlicher und geschlechtlicher Verhältnisse ab. Daraus werden eine Krise der Männlichkeit und analog dazu mehrere Bedrohungsszenarien abgeleitet. Eingebettet ist das Ganze in einen Gefühlscocktail aus Angst, Scham, Wut und Hoffnung. „Diese Affektivität bildet einen Grundbaustein der maskulinistischen und autoritären Konjunktur, der bereits in der neoliberalen Wende gelegt worden war“, schreiben Sauer und Penz.
Die Presse, 15.4.2023: Gefühlsexzess als Polit-Strategie
Birgit Sauer (Uni Wien)
Die Friedensbewegung ist in fünf Krisen. Das eine ist eine Krise des pazifistischen Kompasses, eine Krise des politischen Kompasses, die Frage mit wem demonstriert man? Es gibt eine strukturelle Krise in einer Bewegung die relativ alt ist. Und dann gibt es Krisen, die auch Krisen der deutschen Gesellschaft sind: unser erinnerungskultureller Kompass, aber auch der Kompass mit Blick auf unsere mentalen Landkarten, wenn wir nach Osteuropa schauen.
Deutschlandfunk, 15.4.2023: Entzweit der Ukrainekrieg die Friedensbewegung?
Alexander Leistner (Uni Leipzig)
Rucht meint, es sei „gut und richtig, dass auch mit drastischen Mitteln auf die Klimakatastrophe aufmerksam gemacht wird“. Das Problem sei aber, dass die Straßenblockaden oft die Falschen träfen und so erst einmal Widerstand erzeugten. Langfristig können sich das aber durchaus ändern. „Das führt am Ende dazu, dass das Thema Klimaschutz virulent bleibt.“
Süddeutsche Zeitung, 14.4.2023: Bastelstunde für die Revolution
Dieter Rucht (WZB)
In der Debatte gibt es ein großes Missverständnis: wenn alle die Proteste gut finden, dann tut sich auch etwas. Nein. An dem Punkt waren wir schon. Die Fridays for Future sind sehr breit akzeptiert und trotzdem wirkt sich das kaum auf der Ebene politischer Entscheidungen und politischer Kommunikation aus. Dass die Proteste der Letzten Generation jetzt aufgetaucht sind, ist gerade ein Zeichen dafür, dass die erwünschte Wirkung ausgeblieben ist.
Deutschlandfunk Nova, 14.4.2023: Warum Fridays for Future andere Protestgruppen kritisiert
Simon Teune (FU Berlin)