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Japanbezogene Bewegungsforschung 10 Jahre nach Fukushima

Seit 2018 schreiben Autor*innen des ipb in einer eigenen Rubrik des Forschungsjournals Soziale Bewegungen: “ipb beobachtet”. Die Rubrik schafft einen Ort für pointierte aktuelle Beobachtungen und Beiträge zu laufenden Forschungsdebatten und gibt dabei Einblick in die vielfältige Forschung unter dem Dach des ipb.

Zu den bisher erschienenen Beiträge, die alle auch auf unserem Blog zu lesen sind, geht es hier

Der folgende Text von Anna Wiemann erschien unter dem Titel “Das Klischee der „ruhigen“ Japaner*innen 10 Jahre nach ‚Fukushima‘” im Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 34, Heft 4.2021. Anna Wiemann ist Akademische Rätin am Japan-Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und Mitglied des Instituts für Protest- und  Bewegungsforschung (ipb). Kontakt: a.wiemann@lmu.de


Japan wird im ‚Westen’ oft mit Bildern wie dem braven Büroangestellten, uniformierten Schüler*innen, Geishas in festlichen Kimonos oder der bunten Welt der Anime und Manga in Verbindung gebracht – sprich: mit einer Gesellschaft geprägt von Hierarchie, Ordnung und Weltflucht. „We are always guilty of characterizing nations” – schreibt Andrews (2016: 1) in seinem Werk „Dissenting Japan“ und dies gilt auch für Japan nach dem großen ostjapanischen Erdbeben, Tsunami und Atomunfall in Fukushima im Jahr 2011.

Am 11. März 2011 ging die Nachricht einer bislang nicht gemessenen Erdbebenstärke im Nordosten Japans sowie eines herannahenden Mega-Tsunamis um die Welt. Die Fernsehnachrichten zeigten Bilder von schwarzen Wellen, die ganze Landstriche überspülten, Autos und Häuser mit sich rissen und Schiffe von der Küste ins Landesinnere trugen. In den auf das Beben folgenden Tagen wurde deutlich, dass es zu einer Unterbrechung der Stromzufuhr am Atomkraftwerk Fukushima Daiichi in der Präfektur Fukushima gekommen war. Dies verursachte eine Kernschmelze in drei der zu der Anlage gehörenden Reaktoren.

Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich in der Abschlussphase meines Masterstudiums und es erreichten mich Nachrichten und Anrufe von Freunden in Deutschland, von denen viele wissen wollten, warum „die Japaner so ruhig“ blieben und gar nicht protestierten. Diese Außenwahrnehmung meines deutschen Umfeldes war der Auslöser dafür, mich in meiner Doktorarbeit mit Netzwerken und Mobilisierungsprozessen in der japanischen Anti-Atomkraftbewegung nach Fukushima zu befassen (Wiemann 2018). Denn, genauer betrachtet, blieben und sind die Japaner gar nicht ruhig.

Woher aber stammt das Klischee der protestabstinenten Japaner*innen und warum hält es sich so hartnäckig? Um dieser Frage nachzuspüren gebe ich im Folgenden einen Überblick über die Protestdynamiken in Japan nach 2011, beleuchte die lange Phase der Absenz größerer Proteste und ihre möglichen Gründe und ordne den Fall Japan in seinen regionalen und wissenschaftlichen Kontext ein.

Zwei Höhepunkte der Anti-Atomkraftbewegung

Nach Bekanntwerden des Atomunglücks sammelte sich im Frühjahr und Sommer 2011 zunächst eine Protestbewegung mit bis zu 60.000 Demonstrierenden in der Spitze, angeführt von der Organisation Shirōto no Ran (Amateur’s Riot). Obwohl die Anti-Atomenergiebewegung in Japan über eine lange Geschichte verfügt,[1] stammten die Hauptorganisator*innen dieser ersten größeren Proteste nicht aus dem Anti-Atomenergiespektrum, sondern vor allem aus der seit den 1990ern und 2000ern aktiven Anti-Prekariatsbewegung.[2] Diese Bewegung gegen gesellschaftliche Ungleichheit und irreguläre Beschäftigung zeichnet sich neben oft künstlerisch und musikalisch gestalteten Demonstrationen dadurch aus, dass ihre Mitglieder Protest vor allem durch einen konsumkritischen Lifestyle ausdrücken (Obinger 2015: 33f). Diese ersten größeren Proteste nach Fukushima fielen größer und dynamischer aus als von den Organisator*innen angemeldet. Dies führte zu Verhaftungen durch die Polizei im September 2011. Danach entschied Shirōto no Ran keine weiteren Demonstrationen zu organisieren. Diese Entscheidung fiel nicht zuletzt deshalb, weil die Organisation der Anti-Atomenergiebewegung insgesamt nicht durch ein schlechtes Image schaden wollte (Hirabayashi 2013; Obinger 2013; Tan 2011; Brown 2018; Manabe 2013).

Doch bereits im Sommer 2012 formierte sich anlässlich der Wiederinbetriebnahme des Atomkraftwerks Ōi eine weitere Protestbewegung.[3] Angeführt wurde diese von der Koalition Shutoken Hangenpatsu Rengō (Metropolitan Coalition Against Nukes, nachfolgend abgekürzt MCAN) aus alten und neuen Antiatomenergie-Bewegungsorganisationen, aber auch solchen Bewegungsorganisationen, die bislang hauptsächlich in anderen thematischen Bereichen aktiv waren. In den wöchentlich am Freitagabend stattfindenden Protesten versammelten sich MCAN zufolge zu ihrem Höhepunkt etwa 200.000 Demonstrierende vor dem Sitz des japanischen Premierministers in Tokyo, die neben der Abschaffung der Atomkraft insbesondere (erfolglos) forderten, dass der Reaktor Ōi in der Präfektur Fukui, der auf einer aktiven Erdspalte liegt, nicht wieder hochgefahren wird (Redwolf 2013; Noma 2012).

Weitere signifikante Demonstrationen wurden in dieser Zeit auch von einer Koalition Sayōnara Genpatsu (Goodbye Nuclear Power) unter der Führung von Gensuikin, der ältesten Anti-Atomenergieorganisation in Japan, organisiert (siehe Fußnote 1). Auch die Friedensorganisation Peace Boat organisierte zwei „Global Conferences for a Nuclear-Power-free World” (Datsu Genshiryoku Sekai Kaigi), zu deren Abschluss jeweils Demonstrationen abgehalten wurden. Daneben bildeten sich viele neue Gruppen und Netzwerke, die weniger konfrontative Mittel als Demonstrationen suchten, um ihren Protest auszudrücken, etwa in Form von Studiergruppen, Symposien, eigene Messungen von Radioaktivität in Lebensmitteln und der Umwelt, oder Befragungen von Regierungsorganen und Behörden (seifu kōshō) (vgl. Wiemann 2018). Hierunter befanden sich neben Umweltgruppen insbesondere auch viele Müttergruppen, Betroffenengruppen und ihre Unterstützer*innen sowie Netzwerke von Rechtsanwaltsgruppen (siehe z.B. Holdgrün/Holthus 2016; Löschke 2020; Wiemann/Sahin 2021).

Diese Bewegungswelle nach Fukushima wurde sowohl von Bewegungsakteur*innen als auch von Wissenschaftler*innen in- und außerhalb Japans als sichtbarer „Durchbruch“ nach einer seit den 1970ern andauernden „Protestflaute“ bewertet (Oguma 2013; Chiavacci/Obinger 2018; Horie et al. 2020a; Machimura/Satoh 2016). So schätzte sie der japanische Soziologe und Aktivist Eiji Oguma, der die Proteste vor dem Sitz des Premierministers filmisch dokumentierte, im Oktober 2015 etwa als „neuen Startpunkt einer japanischen Demonstrationskultur“ ein (Wiemann 2018: 50).

Eine neue ‚Demonstrationskultur‘?

Tatsächlich lassen sich mit den Anti-Atomenergieprotesten nach 2011 einige Spin-Off-Bewegungen beobachten, etwa im Winter 2013 bis Sommer 2014 die Proteste gegen ein neues Geheimnisschutzgesetz, das es der Regierung ermöglichte, Whistle Blower und mit ihnen zusammenarbeitende Journalist*innen hart zu bestrafen (Repeta 2013, 2014). Diese Bewegung wurde maßgeblich auch von Aktivist*innen der Anti-Atomenergiebewegung unterstützt und aus ihr heraus bildete sich schließlich die Studierendengruppe SASPL (Students Against the Secret Protection Law). Aus dieser Gruppe entstand im Mai 2015 die Studierendenbewegung SEALDs (Students Emergency Action for Liberal Democracy). Sie protestierte gegen die Neuinterpretation des Artikels 9 der japanischen Verfassung durch die Abe-Regierung.[4]  Der sogenannte „Friedensartikel“ verbietet es Japan auf fremdem Territorium aggressive kriegerische Handlungen durchzuführen. Durch die Neuinterpretation wurde der Einsatz der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte auf fremdes Territorium gemeinsam mit dem Sicherheitspartner USA ermöglicht, auch ohne eine direkte Bedrohung Japans. Die Studierendengruppe bildete schnell Ableger in ganz Japan. Ähnlich wie MCAN organisierte SEALDs im August 2015 Demonstrationen vor den Parlamentsgebäuden mit bis zu 120.000 Teilnehmenden. Darüber hinaus war die Studierendengruppe medial sehr präsent, sowohl in sozialen als auch in TV- und Printmedien. Wie bereits MCAN am 22. August 2012,[5] erreichte auch SEALDs am 15. September 2015 eine Anhörung im Parlament.[6] Trotz des Protestes traten die von der Abe-Regierung seit 2014 vorangetriebenen Sicherheitsgesetze am 19. September 2015 in Kraft. SEALDs löste sich offiziell auf, nachdem sie im Sommer 2016 zur Oberhauswahl eine (erfolglose) Kampagne für mehr Bürgerbeteiligung in der Politik und zur Unterstützung der Opposition organisierten (Kingston 2015; Slater et al. 2015; O’Day 2015; SEALDs 2015, 2016; Kikuchi 2016; Horie et al. 2020b).

Eine weitere progressive Bewegung im Kontext dieser Zeit, wenn auch zahlenmäßig deutlich kleiner, war die Anti-Hate-Speech bzw. die antirassistische Bewegung, die sich als Antwort auf das Erstarken der extremen Rechten und der Diskriminierung von Zainichi, in Japan lebende Ausländer*innen –insbesondere Koreaner*innen, formierte und die 2016 zur Verabschiedung eines Gesetzes gegen Hate Speech führte.[7] Auch diese Bewegung wurde zum Teil von Anti-Atomenergieaktivist*innen getragen. So gründete beispielsweise Yasumichi Noma, ein zentraler Akteur bei MCAN, die Gruppe Shibakitai. Diese stellte sich in Shin-Ōkubo, einer Gegend mit vielen koreanischen Geschäften im Viertel Shinjuku in Tokyo, randalierenden rassistischen Gruppen entgegen (Noma 2012; Horie et al. 2020b: 13f; Kinoshita 2020: 75f; Tanno 2020).

Neben diesen mit den Anti-Atomenergieprotesten 2011 und 2012 in einem Spin-Off-Zusammenhang stehenden Protestbewegungen darf nicht vergessen werden, dass sowohl vor als auch nach 2011 in Japan zu weiteren Themen protestiert wurde, wenn auch nicht mit der gleichen öffentlichen Präsenz und internationalem Interesse. Ein Beispiel dafür sind die seit vielen Jahren bestehenden Proteste in der Präfektur Okinawa  ̶  Japans südlichster Inselgruppe weit entfernt von den Hauptinseln, die bis 1972 US-amerikanisch regiert und erst dann an Japan rückangegliedert wurde. Aufgrund ihrer geostrategischen Lage zwischen Japan, Taiwan, Korea und China beheimatet die kleine Inselgruppe das Gros des in Japan stationierten US-amerikanischen Militärs. Im Jahr 1995 erlebten die Inseln nach der Vergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens durch US-amerikanische GIs eine Protestwelle gegen die stationierten Truppen. Als Reaktion auf die Proteste verständigten sich Japan und die USA auf eine Verlegung der Militärbasis Futenma hinaus aus der dicht besiedelten Stadt Ginowan an die dünner besiedelte Küste, in die Bucht von Henoko im Norden der Hauptinsel. Dieses Abkommen, das die Proteste ursprünglich beenden sollte, wurde indes zum Keim neuen Widerstands, der bis heute anhält (Vogt 2018; Yeo 2011; Vogt/Wiemann 2013; McCormack/Norimatsu 2012). Nicht zuletzt gab es 2015 und 2016  ̶  etwa zur gleichen Zeit wie die SEALDs-Demonstrationen  ̶  nach einer Vergewaltigung und Ermordung einer Frau durch einen US-Marineoffizier Proteste mit bis zu 65.000 Teilnehmenden in Okinawa (Kageyama 2016).

Im Austausch mit Protestierenden der Anti-Atomenergiebewegung wurde während meiner Feldforschung 2013 und 2014 deutlich, dass zwar Protestwellen mit unterschiedlichem Themenbezug zu unterscheiden, die gleichen protestaktiven Menschen jedoch oft in verschiedenen Themenbereichen engagiert sind, z.B. sowohl in der Friedensbewegung in Okinawa als auch in der Anti-Atomenergiebewegung oder in der Bewegung gegen die olympischen Spiele 2020/1 in Tokyo.[8] So sympathisieren im progressiven Bewegungsspektrum viele Gruppen miteinander.

Zusammenfassend hatte der durch das Ereignis ‚Fukushima‘ ausgelöste Protestzyklus in Japan eine neue zahlenmäßige und damit sichtbare Signifikanz. Er war  ̶  in lange nicht da gewesenem Maße  ̶  geprägt von der Gründung neuer Gruppen, ihrer Vernetzung mit erfahrenen Bewegungsorganisationen und einer hohen Dynamik bei Spin-Off Bewegungen.[9] Woher aber rührt die allgemeine Wahrnehmung einer bis 2011 andauernden „Protestflaute“ in Japan, die das Klischee des „ruhigen Japaners“ bestätigen würde?

Protestflaute oder „invisible movements“?

Es ist allgemeiner Konsens sowohl unter Forscher*innen und Aktivist*innen, dass Japan vor 2011 seine letzte große Protestwelle in der 1960ern bis 70ern erlebte. Sie umfasste die Studierendenbewegung, die Friedensbewegung und auch die Umweltbewegung (Steinhoff 2018: 34f). Die Studierendenproteste, die Ende der 1960er/Anfang der 1970er ihren Höhepunkt erlebten, werden jedoch, so Higuchi (2021: 183f), im Vergleich zu westlichen Ländern, die die 1968er Proteste oft in eher guter Erinnerung halten, in Japan als „traumatische Ereignisse“ erinnert, die zu einer „Bewegungsphobie“ führten.

Diese traumatischen Erinnerungen beruhen auf den gewaltsamen Ausschreitungen von Teilen der Studierendenbewegung, die schließlich in der militanten Radikalisierung von extrem linken Gruppierungen mündeten. Ein Arm dieser Bewegung, die „Rote Armee Japans“ (Nihon Sekigun), war an internationalen Terroranschlägen beteiligt, wie beispielsweise an einem Massaker am Flughafen Lod in Tel Aviv (1972), Flugzeugentführungen (1973,1977) und mehreren Sprengstoffanschlägen (Derichs 1995: 141ff). Ein anderer Arm der Bewegung, die „Vereinte Rote Armee“ (Rengō Sekigun) zog sich auf der Flucht vor der Polizei in die Berge Japans zurück. Dabei kam es innerhalb der Gruppe zu Gewaltexzessen, die in mehreren Morden durch Mitglieder untereinander mündete. Im Februar 1972 nahm die Gruppe eine Geisel und lieferte sich neun Tage lang eine blutige Auseinandersetzung mit der Polizei in einer Berghütte (Asama Sansō) in der Präfektur Nagano. Die Geiselbefreiung wurde schließlich live über 10 Stunden und 40 Minuten im Fernsehen übertragen (Steinhoff 2013: 153). Die gewaltsamen Ausschreitungen der Studentenproteste und diese medial vermittelten Bilder von politischer Gewalt befeuerten in der breiten Bevölkerung ein äußerst negatives Image von Protest. Protestteilnahme wurde aufgrund seiner Assoziierung mit militanten linken Gruppen in den folgenden Jahrzehnten schlichtweg stigmatisiert (Higuchi 2021: 188; Steinhoff 2018: 46).

Dennoch wäre es zu einfach, „die Japaner“ nach den 1970ern als generell politisch konform zu charakterisieren. Nur weil soziale Bewegungen nicht klassisch mit großen Teilnehmerzahlen auf der Straße und in den Medien sichtbar sind, bedeutet dies nicht, dass sie nicht existent sind. Sie können ebenso ihr Repertoire auf Aktionen beschränken, die gesellschaftlich nicht negativ assoziiert werden, wie beispielsweise Unterschriftenkampagnen, Advocacy-Aktivitäten, Lobbying, Studiergruppen, Symposien, Aufzeichnen und Erheben eigener Daten (z.B. im Umweltschutz), rechtliche Verfahren und ähnliches.[10] Steinhoff (2007, 2013, 2018) prägte deshalb für den Fall Japan den Begriff der „invisible civil society“. Sie sieht die Entwicklung von Bewegungen in die ‚Unsichtbarkeit‘ als eine Folge der Proteststigmatisierung. Ando (2014: 3) spricht in ähnlichem Sinne von einer „self-revolution in ‚everydayness‘“.

Ohnehin wird der japanischen Zivilgesellschaft insgesamt oft ein gewisser Grad an ‚Unsichtbarkeit‘ attestiert – vor allem in Bezug auf ihren (fehlenden) Einfluss auf nationaler Ebene (Chiavacci/Obinger 2018: 3f). Dieser wird einerseits anhand ihrer geringen medialen Präsenz diagnostiziert. Er ist aber auch durch strukturelle Faktoren des politischen System Japans bedingt, das zivilen Organisationen kaum Zugang zu politischen Institutionen lässt. Hinzu kommt eine große Anzahl kleiner Organisationen und nur wenigen Organisationen, die über ausreichende Mitgliederzahlen und Ressourcen für Erfolge im Advocacy-Bereich verfügen (Pekkanen 2006). Mit Blick auf die normative Kontrollfunktion der Zivilgesellschaft gegenüber dem Staat, spricht Ogawa (2009) sogar von einer „failure of civil society“. In seiner ethnographischen Studie einer Non-Profit Organisation im Wohlfahrtsbereich gewinnt er den Eindruck, dass die japanische Zivilgesellschaft gar dazu tendiere, staatliche Funktionen zu übernehmen – ihn dadurch also eher unterstütze als kontrolliere. Tsujinaka (2003) hingegen betrachtet die japanische Zivilgesellschaft in international-komparativer Perspektive und stellt eine zunehmende ‚Reifung‘ und Professionalisierung im Advocacy-Bereich fest.

Die Phase der ‚Unsichtbarkeit‘

Diese Einschätzungen, die auf der Idee der Zivilgesellschaft als Messlatte für den Zustand der Demokratie beruhen, haben ihre Berechtigung. Jedoch kann ein allzu normativer Blick auch dazu führen, wichtige Aspekte zu übersehen. Denn neben einer ‚unsichtbaren‘ Zivilgesellschaft auf nationaler Ebene existiert in Japan seit geraumer Zeit eine aktive alternative Szene, deren Aktivitäten Morris-Suzuki (2020: 200f) als „micro-politics of everyday-life“ beschreibt und der sie aufgrund ihres Verständnisses des Politischen als ein bottom-up ‚Erschaffen‘ von Bürger*innen, das Potential zurechnet, der von ihr beobachteten aktuellen ‚Krise der Demokratie‘ zu begegnen.

Zudem waren auch während der konstatierten „Protestflaute“ zwischen den 1970ern und 2011, auch neben jenen, die später die organisatorische Infrastruktur für die Post-Fukushima-Proteste lieferten, viele Bewegungen aktiv. Im Zuge von Umweltskandalen, die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung einhergingen, konsolidierte sich bereits während der 1960er Jahre die Umweltbewegung, die in den folgenden Jahrzehnten unter anderem die Einrichtung eines Umweltministeriums und diverse Umweltschutzgesetze beeinflusste. Hierbei spielten vier von Umwelt- und Betroffenenbewegungen angestrengten Gerichtsverfahren – um die Quecksilberverseuchungen in der Bucht von Minamata[11]  (Präf. Kumamoto) und am Fluss Agano (Präf. Niigata), um die Freisetzung von Schwefeloxid in Yokkaichi (Präf. Mie) und um die Kadmiumvergiftung am Fluss Jinzū (Präf. Toyama) eine wichtige Rolle (Avenell 2012).[12] In den 1980ern fokussierte sich die japanische Umweltbewegung insbesondere auf Themen des unmittelbaren lokalen Umweltschutzes. Ende der 1990er vernetzte sie sich zunehmend auch transnational, insbesondere durch Events wie die Klimakonferenz 1997 in Kyoto (Vosse 1998). Auch die Anti-Atomenergiebewegung blieb aktiv in dieser Zeit, insbesondere im Rahmen von NIMBY-Protesten an Orten, an denen neue Atomkraftwerke errichtet wurden.[13] Trotz einer sehr erfolgreichen Strategie der Regierung, die die oft wirtschaftlich schwachen Orte zwang, die Kraftwerke zu akzeptieren, konnte die Bewegung 1996 den Bau eines Atomkraftwerkes in der Stadt Maki (Präf. Niigata) verhindern (Aldrich 2008; Hasegawa 2004).

Auch diverse andere Bewegungen wie z.B. die Minderheiten- oder Frauenbewegung blieben aktiv und verzeichneten kleinere Erfolge. Einige Minderheitenbewegungen, wie die der Ainu, Zainichi, oder Burakumin[14] beispielsweise adaptierten sehr erfolgreich ein Human Rights-Framing und erreichten unter anderem durch ihre Interaktion mit UN-Institutionen gesetzliche Änderungen zur Besserung ihrer gesellschaftlichen Stellung (Tsutsui 2018; Vollmer 1998). Auch die Frauenbewegung entwickelte sich nach ihrer Konsolidierung ab 1970 fortwährend. So trugen Frauennetzwerke unter anderem zur Verabschiedung eines Gleichstellungsgesetzes 1986 bei (Lenz 1998).

Japanische soziale Bewegungen im regionalen und wissenschaftlichen Kontext

Seit den 1970ern spielen transnationale und internationale Verflechtungen für die japanische Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen insgesamt eine wichtige Rolle; einerseits beim Wissensaufbau, aber auch bei der Organisation grenzübergreifender Protestaktionen, insbesondere in der asiatisch-pazifischen Region (Avenell 2018: 28).

Es ist also gerade aufgrund der großen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Diversität in der asiatisch-pazifischen Region auch eine Aufgabe der Forschung, den Fall Japan in diesem Kontext zu betrachten. Dennoch ist es auch hier, insbesondere für Autor*innen aus anderen kulturellen Kontexten oft schwierig, nicht in kulturelle Stereotype zu verfallen und die gesamte asiatische Region durch eine angenommene zugrundeliegende konfuzianistische Prägung, wie z.B. einem Streben nach Harmonie oder dem Respekt dem Herrscher gegenüber, „in einen Topf“ zu werfen.[15] Auch wenn diese in der Entwicklung der Region eine Rolle gespielt haben mag, so hat sie doch in unterschiedlichen lokalen Kontexten eine unterschiedliche Anpassung und historische Entwicklung erfahren und darüber hinaus auch andere kulturelle und philosophische Strömungen in sich aufgenommen. Die politischen Systeme und Gesellschaften divergieren heute stark.

In der Japanforschung, die wie viele andere Regionalwissenschaften eine große Anzahl an Disziplinen umfasst, schlägt sich dies bei der Suche nach Erklärungen für soziale, politische oder wirtschaftliche Phänomene in einem Spannungsfeld zwischen Kultur und Struktur nieder. Während rein kulturelle Erklärungen relativistische Tendenzen haben, müssen sich rein strukturelle Erklärungen den Vorwurf gefallen lassen, kulturelle Japanspezifika zu missachten. So fand, ausgehend von der Nachkriegsliteratur, der sog. Nihonjinron-Ansatz („Theorie(n) zum Wesen der Japaner“), der den „Japanern“ einzigartige kulturelle Merkmale zuschreibt, auch Eingang in die sozialwissenschaftliche Japanforschung. Hier führte dieser Ansatz dazu, dass politische und soziale Phänomene ausschließlich durch die Besonderheiten der japanischen Kultur und Psyche erklärt und strukturelle Faktoren überdeckt wurden (vgl. Babb 2015: 354). In den 1980ern wurde diese Herangehensweise stark kritisiert und inzwischen hat sich in der Japanforschung die Vorgehensweise durchgesetzt, theoretische Modelle und Methoden kultursensibel einzusetzen und durch lokale Theoriebildungen zu ergänzen. Kultursensibilität wird dabei etwa durch intensive Auseinandersetzung mit japanischsprachiger Literatur, empirischer Forschung in japanischer Sprache vor Ort und einem regen Austausch mit Forscher*innen im Land angestrebt. Auf diese Weise soll gleichzeitig einer Exotisierung des Falles Japan entgegengewirkt werden, die den Blick auf strukturelle Zusammenhänge verstellen würde.

In den letzten Jahren sind zwei Sammelbände erschienen, die soziale Bewegungen im asiatischen Kontext betrachten und die im weitesten Sinne die beiden Fokusse Kultur vs. Struktur repräsentieren. Die Beiträge in Broadbent/Brockman (2011) präsentieren Fallstudien aus Japan, Korea, Taiwan, Hong Kong, China und Singapur. Die Herausgeber gehen in Einleitung und Fazit der Frage nach, wie und in welchem Ausmaß lokale Kulturen und Beziehungsstrukturen soziale Bewegungen beeinflussen. Sie argumentieren dabei für die Etablierung einer kulturellen Ontologie in der Forschung zu sozialen Bewegungen. Chiavacci et al. (2020) hingegen konzentrieren sich auf die demokratischen Staaten im ostasiatischen Raum: Japan, Korea und Taiwan. Sie vergleichen diese Länder vor allem strukturell vor dem Hintergrund der komplexen Beziehungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft und stellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest.

So hat die Katastrophe 2011 auch dazu beigetragen, dass japanische soziale Bewegungen zunehmend in ihrem regionalen Kontext vergleichend wissenschaftlich untersucht werden. Dennoch bleibt die Frage: Was ist nun eigentlich das wirklich Neue an japanischen Bewegungen und ihrer Erforschung seit 2011?

Fazit: Was also ist neu seit 2011?

Auch die japanbezogene Bewegungsforschung verläuft im Nachklang von sichtbaren Protestzyklen wellenartig und unterliegt zum Teil gesamtgesellschaftlichen Stigmatisierungen, die, so Higuchi (2021: 188), soziale Bewegungen als „ineffective and scary and, thus, distant from the lives of ordinary people” einordnen. So führten die Entwicklungen nach 1970 zur Zurückhaltung insbesondere japanischer Forscher*innen bei der Erforschung sozialer Bewegungen. Seit den Protesten 2011 jedoch nimmt die Forschung zu Japan aus der Bewegungsperspektive wieder zu, diversifiziert sich und widmet sich nun auch vermehrt der Historie der disruptiven 1960er-Proteste (Higuchi 2021). So zeigt die Forschung seit 2011 bereits eindrücklich, dass die Proteste des Nach-Fukushima-Zyklus auf bereits etablierten zivilgesellschaftlichen Strukturen beruhten, die sich in ihren Aktionsformen und Rhetorik deutlich von den 1960ern abzugrenzen versuchten. Darüber hinaus gewinnt die Forschung zunehmend Einblick in die Vielfalt alternativer Politik in Japan, ihren Aktionsrepertoires und ihre nationale und transnationale Vernetzung – und produziert dabei durchweg Befunde, die das Klischee der „ruhigen Japaner“ entkräften.

Zwar ordnet Steinhoff (2018: 46) Japan weiterhin nicht als „social movement society“ ein, in der soziale Bewegungen und Protest einen selbstverständlichen Teil politischer Advocacy darstellen, doch die Entwicklung nach 2011 zeigt eine Tendenz hin zur Emanzipation sozialer Bewegungen in Japan. Die Frage, ob die Protestwelle 2011 das Protest-Stigma der 1960er durchbrochen hat, bleibt indes noch offen (Higuchi 2021: 191). Es ist gerade vor diesem Hintergrund Aufgabe der japanbezogenen Bewegungsforschung, weiterhin mit einem offenen Blick – auch für bislang Unsichtbares – das Wissen um soziale Bewegungen in Japan zu vervollständigen, es im regionalen Kontext einzuordnen und gängige Bilder und Klischees – auch in vergleichender Perspektive – zu hinterfragen.

Literatur

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[1] Bereits in den 1950ern, nachdem die Ausmaße der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki deutlich wurden, formierte sich eine Anti-Atom-Bewegung in Japan, die in den 1960ern über der Frage nach der friedlichen Nutzung von Atomtechnologie, in zwei Lager zerbrach. Die ältere Organisation, Gensuikyō (Japan Council Against Atomic and Hydrogen Bombs), verurteilt in erster Linie Atomwaffen und Atomtests. Für die Organisation, die sich abspaltete, Gensuikin (Japan Congress against A- and H-Bombs) hingegen, können „Menschen und Atomkraft nicht gemeinsam existieren“, siehe Totten/Kawakami 1964 und Gensuikin 2021. Gensuikin ist somit die älteste Anti-Atomenergieorganisation. Beide Organisationen sind bis heute aktiv, Gensuikyō wird heute der Friedensbewegung zugerechnet. Mehr zum Hintergrund der Anti-Atomenergiebewegung bis 2011 siehe auch Wiemann 2018: 37ff.

[2] Neologismus aus den Wörtern ‚prekär‘ und ‚Proletariat‘.

[3] Nach dem Atomunglück in Fukushima wurden zunächst alle bis dahin bestehenden 54 Atomreaktoren in Japan abgeschaltet und neuen Sicherheitstests unterzogen. Das Atomkraftwerk Ōi war das erste, dessen Wiederinbetriebnahme genehmigt wurde.

[4] Shinzō Abe, japanischer Premierminister 2012 bis 2020.

[5] MCAN Anhörung im Parlament am 22. August 2012: https://www.youtube.com/watch?v=zg0HhEG4imY (letzter Zugriff am 07.09.2021).

[6] SEALDs Anhörung im Parlament am 15. September 2015: https://www.youtube.com/watch?v=5dsMhkj6eHk&t=5s (letzter Zugriff am 07.09.2021).

[7] Seit den 2000er-Jahren werden rechte Bewegungen in Japan zunehmend präsent. Seit den 2010er-Jahren macht insbesondere die xenophobe Bewegung der „Action-Conservatives“ auf sich aufmerksam, die insbesondere gegen Migrant*innen aus Korea und China agiert und zunehmend auch auf den Straßen sichtbar wird, vgl. Yamaguchi 2013; Higuchi 2014; Gill 2018; Smith 2018; Hatano 2020.

[8] Zu den Anti-Olympia-Protesten 2020/1 siehe Ganseforth (2020).

[9] Einen Überblick über die Vielfalt der an den Protesten beteiligten Gruppen und auch im Hinblick darauf, welche davon im März 2011 bereits bestanden und welche erst danach gegründet wurden bietet z.B. die Studie von Machimura et al. 2015.

[10] Auch in meiner Dissertation weise ich darauf hin, dass Bewegungen ihr Aktionsrepertoire unter anderem unter der Berücksichtigung ihrer Beziehung zur breiten Gesellschaft folgend anpassen (Wiemann 2018).

[11] Mehr zur Minamata-Bewegung siehe z.B. Osiander 1998.

[12] Gerichtsprozesse als Strategie sozialer Bewegungen sind nicht nur in Japan ein bis heute oft genutztes Instrument, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Probleme zu lenken, Informationen zu erstreiten und Änderungen herbeizuführen (Miura 2009; Steinhoff 2014; Bochorodycz 2015; Jobin 2020; Wiemann/Sahin 2021 im Erscheinen). So untersuchte auch Vestana (2019) in ihrem Beitrag in diesem Forschungsjournal am Beispiel der Austeritätspolitik in Portugal die Interaktion zwischen sozialen Bewegungen und öffentlichen Institutionen, wie der Gerichtsbarkeit.

[13] Der Ausdruck ‚Not In My Backyard‘ bezeichnet Proteste, die von Gruppen angeführt werden, die gegen unmittelbar in ihrer Nachbarschaft lokalisierte Bauvorhaben, Umweltverschmutzung etc. protestieren.

[14] Die Ainu sind ein indigenes Volk aus dem Norden Japans; Zainichi bezeichnet in Japan lebende Ausländer*innen, insbesondere Koreaner*innen; Burakumin sind die Nachfahren einer Kaste von Ausgestoßenen (in der Edo-Zeit, 1600-1867).

[15] Zu konfuzianischen Werten und liberale Demokratie, siehe Mauk 2016.

Foto: Anna Wiemann (2013, all rights reserved)

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