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Rechte Proteste und Gegenmobilisierungen: ipb-Diskussionsrunde geht Wechselwirkungen auf den Grund

Die jüngste #unteilbar-Demonstration in Berlin zog Zehntausende auf die Straße. Auch in München, Chemnitz und anderswo stellen sich lokale Protestbündnisse rechten Mobilisierungen und rechter Stimmungsmache entgegen. Welche Wirkungen gehen von diesen Gegenprotesten aus? Hilft Widerstand und Protest um rechte Mobilisierungen zu verhindern? Oder werden die Gegenproteste für neue Mobilisierungen von rechts genutzt? Welche Formen der Mobilisierung waren und sind am erfolgreichsten um rechte Proteste einzudämmen? Der Einladung des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung über „Rechte Proteste und Gegenmobilisierung in Städten und Gemeinden“ zu sprechen, folgten am 9.11. mehr als fünfzig Teilnehmer*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Die Diskussionsrunde war Teil der ipb-Jahrestagung unter dem Motto „Der Kontext lokaler Proteste“.

Moderiert von ipb-Vorstandsmitglied Sabrina Zajak vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung diskutierten auf dem Podium Theresa Hartmann vom Bündnis #Unteilbar und Johannes Richter von der Courage Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit in Dresden mit ipb-Vorstand Dieter Rucht über mögliche Wechselwirkungen von Protest und Gegenprotest.

Die Podiumsdiskussion befasste sich mit dem Aufkommen von rechten Protesten und Gegenprotesten. Dabei wurde festgehalten, dass sich im Zeitraum von 1993 bis 2015 etwa gleich viele Protestereignisse von rechts wie von links abbilden lassen – wenngleich nicht in derselben Teilnehmer*innenstärke. Rechte Proteste seien dabei in Vergangenheit und Gegenwart deutlich gewaltförmiger, vor allem in Ostdeutschland. Seit 2014 gebe es einen erneuten Aufschwung rechter Proteste.

Die Teilnehmer*innen aus Wissenschaft und Praxis diskutierten die Wirkung des sich in jüngster Zeit häufenden, medienwirksamen Aufeinandertreffens von Protest und Gegenprotest. Die direkte Gegenüberstellung führe unter Demonstrierenden beider Seiten zu einer starken Emotionalisierung der Debatte und letztlich zu einer Stärkung kollektiver Identitäten, so die Vermutung. Offen sei dabei inwieweit diese konflikthafte Aufladung der Proteste Mobilisierungsprozesse außerhalb der Kerngruppen begünstige oder erschwere.

In der Bewertung der Ergebnisse war man sich einig: Gegenproteste haben eine unmittelbare Wirkungskraft, da diese zum Teil rechte Kundgebungen verhinderten oder zumindest deutlich einschränkten. Hier wurde insbesondere das Beispiel ‚Dresden nazifrei‘ diskutiert.  Die Bedeutung zeige sich auch daran, dass das Fehlen von starken Gegenproteste enorme Folgewirkungen haben könne, wie die Ereignisse in Chemnitz im Spätsommer 2018 verdeutlichten. Darüber hinaus wurde auf die symbolische Bedeutung von Gegenprotesten verwiesen; erfolgreiche Gegenmobilisierung zeige, dass und wie sich rechtspopulistische Deutungshoheit auf der lokalen Ebene brechen ließe.

Die derzeitige starke gesellschaftliche Polarisierung sei dabei auch als ein ‚Gelegenheitsfenster‘ für Bündnisse von linken Gruppen mit breiten Bevölkerungsschichten zu verstehen. Vor diesem Hintergrund wurde die These aufgestellt, dass wir uns in einer Phase der Vereinigung statt der Spezifizierung sozialer Bewegungen befinden. Hierfür wurde das „Unteilbar“-Bündnis als Beispiel genannt, in der nicht nur linker Protest gegen den Rechtsruck zum Ausdruck gekommen, sondern bewusst ein breites Bündnis gegen Diskriminierung geschaffen worden sei, das verschiedene soziale Kämpfe vereine. Erfolgreiche Proteste gegen rechts, so die Schlussfolgerung, seien breit aufgestellt. Hier blieb die Frage zu klären, inwiefern das Beispiel „Unteilbar“ für Konstellationen außerhalb Berlins übertragbar sei und inwiefern neben dem Motivationsgewinn auf emotionaler Ebene, nachhaltig politischer Druck aufgebaut werden könne. Allgemein wurde argumentiert, dass sich Gegenproteste nicht rein auf eine Abwehr rechter Mobilisierung beschränken, so eine Erfahrung aus der Praxis, sondern im Gegenzug eigene Themen sichtbar machen sollten.

Neben den breiten Bündnissen wurde auch die Bedeutung von kleinen, sogenannten„Feuerwehr“-Protesten und Schutzinterventionen betont. So könne die Anmeldung und Durchführung von Gegendemonstrationen für Schutz für Geflüchtete und andere Opfer rechter Anfeindungen sorgen, nicht zuletzt weil derartige Protestkonstellationen unter verstärkter Polizeibeobachtung stünden. Des Weiteren wurde auf die Relevanz stetiger Mobilisierung vor Ort für Veränderungen verwiesen. Das Zusammenspiel dieser beiden Formen von Gegenprotesten sei bislang noch unerforscht.

Gleichermaßen könnte die zunehmende Konfrontation rechter und linker Proteste dazu führen, dass sich Fronten verhärteten und sich beide Seiten gleichermaßen radikalisierten und Bündnispartner verschreckt würden. Als mögliche Handlungsoptionen wurde die diskursive Auseinandersetzung – in Zeiten von angeblichen „Fake News“ und dem Vorwurf der Einschränkung von Meinungsfreiheit kein Leichtes – ebenso diskutiert, wie die mögliche Einbeziehung staatlicher Institutionen. Ein Verbot rechter Proteste wurde unter den Vorzeichen einer Gefahr einer neuen Normalität rechter Parolen bei gleichzeitiger Wahrung der demokratisch garantierten Versammlungsfreiheit kontrovers besprochen.

So verdeutlichte die Diskussion, dass es noch zahlreiche ungeklärte Fragen bezüglich der Wechselwirkungen von rechten Protesten und Gegenmobilisierung sowie deren lokalen Verankerungen gibt. Beide Fragen sollten Gegenstand weiterer transdisziplinärer Debatten oder Projekte sein.

Melanie Kryst

Foto: Moritz Sommer. Abgebildet sind Dieter Rucht, Sabrina Zajak, Theresa Hartmann und Johannes Richter (von rechts nach links).

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