Am 16. September 2016, einen Tag vor den sieben bundesweit organisierten Demonstrationen gegen CETA und TTIP, lud das Institut für Protest- und Bewegungsforschung zu einem Pressegespräch ins Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ein (Download der Präsentation).
Anlass für das Pressegespräch waren die verbreiteten Annahmen, die Demonstrationen gegen TTIP und CETA brächten linke und rechte Kritiker zusammen oder hier versammle sich die „Pegida von links“. Es gibt zwei Anhaltspunkte, um zu sagen, ob eine Demonstration tatsächlich ein gemeinsames Projekt von Linken und Rechten ist: das eine ist die Frage der Anschlußfähigkeit: inwiefern bleiben die Organisator_innen inhaltlich vage, und befördern oder dulden eine Beteiligung von rechts? Das andere ist die Zusammensetzung der Demonstration selbst. Gibt es unter den Versammelten einen relevanten Anteil von Menschen, die sich durch Wahlabsichten und Positionierung zum Links-rechts-Schema im rechten Lager verorten lassen?
Aufgrund einer Befragung, die wir bei der Großdemonstration gegen TTIP und CETA am 10. Oktober 2015 durchgeführt haben, lässt sich klar sagen: die Beteiligung von rechts ist verschwindend gering. Nur vereinzelt ordnen sich Demonstrierende im politischen Spektrum rechts der Mitte ein. Immerhin drei Prozent votierten bei der Sonntagsfrage für die AfD (46,2% für die LINKE, 39,5% für die Grünen) – zu einem Zeitpunkt, wo die AfD in bundesweiten Umfragen bei sieben Prozent lag.
Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zu einer Demonstration, bei der tatsächlich verschiedene Lager zusammenkommen, den Montagsmahnwachen für den Frieden. Bei einer Befragung des Protestinstituts im April 2014 lag hier der Anteil von AfD-Sympathisant_innen bei 13 Prozent. Auf den Montagsmahnwachen wurde ein großes Unbehagen mit der Einordnung in Rechte und Linke deutlich. 38 Prozent der Befragten wollten sich hier nicht verorten. Bei den TTIP-Protesten wird dieses Koordinatensystem nur von acht Prozent in Frage gestellt. Der Rest ordnete sich deutlich links der Mitte ein.
Ein weiteres Indiz ist das relativ hohe Vertrauen der TTIP-Protestierer in demokratische Institutionen und vor allem in die Medien. Anders als bei den Montagsmahnwachen, bei denen Medien, Regierung und Europäische Union zu 90 Prozent mit Misstrauen begegnet wurde, findet man unter den auf der TTIP-Demonstration Befragten trotz der deutlichen Kritik ein verbreitetes Vertrauen in die Institutionen der liberalen Demokratie. Auch diese Erkenntnis spricht gegen die Annahme, die TTIP-Proteste versammelten eine ressentimentgeladene „Pegida von links“.
Ein Blick auf die Themen, zu denen die Befragten TTIP-Demonstrant_innen vorher aktiv waren, erhärtet die These eines Zusammenkommens von links und rechts genauso wenig. Am häufigsten wurden umwelt- und friedenspolitische Themen genannt. Nur ein Prozent der von uns befragten TTIP-Protestierer_innen gibt an, bei einer Pegidademonstration gewesen zu sein, 22 Prozent waren dagegen auf einer NoPegida-Demonstration.
Aber nicht nur die Demonstrationsbefragungen sprechen dagegen, dass die Proteste gegen TTIP und CETA ein gemeinsames Projekt linker und rechter Kritiker_innen seien. Auch die Positionierung der Organisator_innen spricht eine deutliche Sprache. Sie betonen, dass ihre Alternative zu den Freihandelsabkommen eine gerechte Weltwirtschaft ist, nicht eine, die sich national abschottet und die Rechte von Menschen und Umwelt in anderen Regionen außer acht lässt. Auf dieser Grundlage gab es wiederholt eine explizite Ausladung rechter Freihandelskritiker_innen, z.B. in Reaktion auf das Ansinnen der Berliner AfD, sich an den Protesten zu beteiligen (hier auch via Twitter). Entsprechend anschlussfähige Deutungsmuster finden sich auch nicht in den Aufrufen und Argumentationen des Bündnisses. Wenn man von den Protesten gegen den G8-Gipfel 2007 absieht, dürfte sich kaum ein anderer Großprotest in Deutschland finden, bei dem das Thema von den Veranstaltenden so offensiv angegangen und unerwünschte Kritik explizit ausgeladen wurde.
Aus unserer Sicht ist also festzuhalten: Die TTIP-Demonstrationen sind weder Querfront-Veranstaltungen noch bilden sie den Querschnitt der Bevölkerung ab. Sie gleichen eher dem Profil anderer Großdemonstrationen: hoch gebildet, sich als links einordnend, deutlich in der Kritik, aber in Loyalität zur liberalen Demokratie. Die Grenze zwischen links und rechts verschwimmt hier nicht. Auch wenn es sehr wohl eine TTIP-Kritik aus beiden politischen Spektren gibt, kommen sie bei den Demonstrationen nicht in einer relevanten Größenordnung zusammen. Vielmehr zeichnen sich die vielfach als überholt bezeichneten Lager in der Abgrenzung deutlicher ab.
Um zu sehen, inwiefern die explizite Ausladung der AfD und Co. bei den Demonstrationen am Samstag auch in einer entsprechende Praxis umgesetzt wird, beobachten wir drei der sieben Demonstrationen mit kleineren Teams.
Foto: Victor Rosenfeld, cc (via Flickr)