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Umgehen mit Rechtspopulismus. Bericht von der ipb-Jahrestagung 2016

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Neben Jochen Roose, dessen Tagungsbericht hier zu lesen ist, haben auch Daniel Staemmler im Soziologieblog und Moritz Sommer im Forschungsjournal Soziale Bewegungen die Diskussionen unserer Jahrestagung zusammengefasst. 

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„Rechtspopulismus als Bewegung?“ hat das Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) als Thema seiner Jahrestagung 2016 gewählt. Aus bewusst sehr unterschiedlichen Richtungen wurde das Thema auf der Tagung am 25. November 2016 diskutiert. Neben der Wissenschaft kamen auch Politik, Journalist_innen und die Veranstalterin eines Kunstprojekts zu Wort. Mit der „Alten Kantine“ in Berlin Wedding ermöglichte der Veranstaltungsort eine intensive gemeinsame Diskussion, begrenzte allerdings auch die Zahl der Teilnehmer_innen auf ca. 80, während das Interesse an der Tagung sehr viel größer war.

Das Thema könnte kaum aktueller sein, kurz nach der Wahl von Donald Trump zum neuen Präsidenten der USA. Doch in seinem Eingangsreferat erinnert Roland Roth an die lange Zunahme von Rechtspopulismus in verschiedenen europäischen Ländern, etwa Italien, Österreich, Ungarn, Polen, und Frankreich.

Diskussionen über das Konzept des Rechtspopulismus prägen die gesamte Tagung. Kern des Konzepts ist die Behauptung eines Aufbegehrens von „dem Volk“ gegen „die Elite“. Dabei wird dann von den Rechtspopulist_innen definiert, wer diesem „Volk“ angehören soll. Roland Roth (ipb, Institut für demokratische Entwicklung und soziale Integration) nennt ein rückwärtsgewandtes Programm als typisch. Die Arbeit mit Ressentiments macht die Ideologie resistent gegen Fakten. Rechtspopulisten wenden sich typischerweise an (vermeintlich) Abgehängte oder Ausgegrenzte und fordern selbst Ausgrenzung. Dieter Rucht (ipb, WZB) ergänzt die wenig bestimmten politischen Positionen zum Markenzeichen des Rechtspopulismus. Er unterscheidet idealtypisch Rechtspopulismus von Rechtsradikalismus und Rechts-Terrorismus. So lassen sich die realen Mischformen klarer bezeichnen. Während beim Rechtsradikalismus und Rechts-Terrorismus Menschenwürde, Gleichheitsprinzip und repräsentativ-liberale Demokratie abgelehnt werden und der ethnozentristische Nationalismus von großer Bedeutung ist, sind all diese Positionen beim Rechtspopulismus ambivalent. Klar festgelegt ist der Rechtspopulismus nach Ruchts Verständnis bei der Ablehnung von Eliten und ihrer Abgrenzung vom eigentlichen „Volk“.

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Bei der Diskussion um Ursachen des Rechtspopulismus bezieht sich Wilhelm Heitmeyer (Uni Bielefeld) auf seine Publikation „Schattenseiten der Globalisierung“ (2001, Suhrkamp). Dort machte er Emotionalisierung, aggressive Sprache und inkonsistente Themen bei den Rechtspopulisten aus, während damals Antisemitismus ein wesentlicher Bestandteil war, der heute keine zentrale Rolle mehr spielt. Im Zentrum stand und steht heute die Verletzung der Grundnorm einer Gleichwertigkeit von Menschen. Die wirtschaftliche Globalisierung und ihre Nebeneffekte sind nach seiner Einschätzung mit Ursachen für den Rechtspopulismus. Roland Roth stellt drei Erklärungen gegenüber: 1. Hans-Dieter Klingemanns Ansicht, wonach Rechtspopulismus eine „normale Abweichung“ in Demokratien ist. 2. Die These der „ausgezehrten Demokratie“, also einer Verfallserscheinung von Demokratien. 3. Die Ausbildung einer neuen Konfliktlinie zwischen Befürwortern einer transnationalen Öffnung und den Befürwortern einer nationalen, kulturellen Schließung (vgl. die Arbeiten von Kriesi) als Folge der Globalisierung. Dieser dritten Variante gibt er den Vorzug.

Medien tun sich schwer im Umgang mit Rechtspopulisten und insbesondere Pegida mit seinen Ablegern. Axel Hemmerling (MDR) und Astrid Geisler (Zeit online) beschreiben die Ambivalenzen, wenn es darum geht, das Phänomen in seiner Dramatik wahrzunehmen und gleichzeitig zu vermeiden, den Rechtspopulist_innen unangemessen viel Raum zu bieten. Alice Lanzke (Neue deutsche Medienmacher) plädiert für mehr Journalist_innen mit Migrationshintergrund, um die Perspektivenvielfalt zu erhöhen. Tino Heim (TU Dresden) berichtet aus seiner Studie über die mediale Bearbeitung von AfD und Pegida (2016, Springer). Üblicherweise werden in der Berichterstattung die Organisatoren als besonders Überzeugte abgegrenzt von den „verführten“ sonstigen Teilnehmer_innen.

Bei der Frage nach einem Dialog mit Anhänger_innen des Rechtspopulismus und Vertreter_innen der AfD fordert Alexander Leistner (DJI), sich nicht in die Polarisierungsdynamik der Rechtspopulisten drängen zu lassen. Klaus Lederer (Linkspartei Berlin) berichtet von einem Strategiewechsel weg von einer Ausgrenzung hin zur Auseinandersetzung. Damit einher geht das neue Nachdenken über eigene Positionen und eigene Blindstellen.

Das abschließende Panel wendet sich dem Thema Gewalt zu. Im Rechtspopulismus kommt es zu einer strategischen Kombination von Gewalt und seriöser Politik, wobei die Gewalt Aufmerksamkeit garantiert. In den letzten Jahren lässt sich eine Radikalisierung von Sprache und Handlungen beobachten. Auch Einschüchterungen bei öffentlichen Terminen, in der Politik oder vor Gericht, gehören zum Repertoire. Berichte aus der Arbeit mit Betroffenen von rechter Gewalt machen die Dramatik der Situation deutlich.

Rechtspopulismus stellt die Wissenschaft vor neue Herausforderungen. Ein neues Feld von Bewegungen (oder eine breit umspannende Bewegung) hat sich herausgebildet. Wie Dieter Rucht unterstreicht, benötigen wir in diesem Feld eine breite, kontinuierliche wissenschaftliche Beobachtung, die über die zahlreichen aktuellen beschreibenden Studien hinaus den Rechtspopulismus, seine Facetten und seine Dynamik verständlich machen.

Jochen Roose, Universität Wroclaw, ipb

Das Graphic Recording der ipb-Jahrestagung 2016 von Wyn Tiedmers ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

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