Memorandum

Forschungsinstitut ‚Protest – Bewegung – Demokratie’

Memorandum zur Gründung einer sozialwissenschaftlichen Einrichtung

Die letzten Jahre haben die gestaltende Kraft von Protesten und sozialen Bewegungen in Erinnerung gerufen. Auch wenn Politik „von unten“ auf der öffentlichen Agenda weit oben steht, spielt sie in den deutschsprachigen Sozialwissenschaften nur eine marginale Rolle. Große Forschungsprojekte sind die Ausnahme; ein institutioneller Anker fehlt. Um dies zu ändern, bedarf es einer langfristigen Perspektive, eines institutionellen Orts und entsprechender Ressourcen. Zu diesem Zweck soll ein Institut mit Sitz in Berlin gegründet werden.

Demokratie als Lebensform und das institutionelle Gefüge demokratischer Systeme sind durch Proteste und soziale Bewegungen wesentlich geprägt worden. Die Analyse der Selbstorganisation der BürgerInnen sowie der Hintergründe, Formen und Wirkungen bürgerschaftlicher Einmischung in Politik und Gesellschaft ist unverzichtbar. Welche Motive und Themen bringen die Menschen auf die Straße? Wie funktioniert politische Mobilisierung? Welche sozialen Gruppen bleiben in einer Politik „von unten“ ausgeschlossen? Welche Einmischungen fördern, welche gefährden Demokratie? Um solche Fragen beantworten zu können, wird das zu gründende Forschungsinstitut kontinuierlich aktuelle und zeitgeschichtliche Erscheinungen von politischen, sozialen und kulturellen Protesten in ihrem gesellschaftlichen Kontext analysieren. Dies betrifft primär Vorgänge in Deutschland. Auf längere Sicht sollen aber auch länder- und kulturvergleichende Analysen sowie Studien transnationaler Mobilisierungsprozesse durchgeführt werden.

Das zu gründende Institut ist in erster Linie eine Forschungseinrichtung. Es soll theoretisch angeleitetes, empirisch fundiertes und wissenschaftlich wie politisch-praktisch relevantes Wissen über seinen Gegenstandsbereich erzeugen und verbreiten. Neben seiner Forschungsaufgabe soll das Institut einen Knotenpunkt für Forschungskooperationen mit anderen Einrichtungen des In- und Auslands bilden. Das Institut soll sich folgenden Kernaufgaben widmen:

  • Dauerbeobachtung von politischen und sozialen Protesten in Deutschland im Sinne eines ständig fortzuschreibenden Protestmonitors – dies insbesondere in Weiterführung eines bereits bestehenden Datensatzes zu Protestereignissen in Deutschland seit 1950 („Prodat“), ergänzt durch ein Monitoring von Mobilisierungen im Internet,
  • Bestandsaufnahme von Bürgerinitiativen und ähnlichen Gruppierungen auf Grundlage einer bundesweiten Erhebung
  • Vertiefende Befragungen von Protestierenden (Prozesse politischer Sozialisation, Bedingungen, Gründe und Formen des aktuellen Engagements, soziale Selektivität der Engagierten).

Neben der laufenden Forschung soll das Institut kurzfristig Expertisen zu aktuellen Themen erstellen:

  • Befragungen von Demonstrierenden vor Ort bei herausgehobenen Konfliktfällen – zunächst insbesondere im Rahmen von Konflikten um Infrastrukturprojekte in den Bereichen Verkehr und Energie.
  • Anlassbezogene Begleitforschung zu den Voraussetzungen, Formen und Ergebnissen herausgehobener Konfliktfälle (z.B. Planfestestellungsverfahren, Bürgerforen, Runde Tische, Mediations- und Schlichtungsverfahren).

Der rechtliche und organisatorische Status eines solchen Instituts ist noch zu klären. Denkbar ist ein „An-Institut“ bzw. eine Einrichtung, die von einem Konsortium mehrerer etablierter Wissenschaftseinrichtungen in Berlin getragen wird. Dafür bieten sich vor allem an: Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin, Hertie School of Governance und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, wo von 1987/88 bis Mitte 2011 ein institutioneller Ort der Protest- und Bewegungsforschung existiert hatte.

Die personelle und sachliche Ausstattung des Instituts soll aus mehreren Quellen finanziert werden: Leistungen der beteiligten Institutionen des Konsortiums, Gelder von Stiftungen, Drittmittel von Organisationen der Forschungsförderung sowie Stipendien bzw. Projektmittel, die einzelne MitarbeiterInnen ad personam eingeworben haben. Die Leitung des Instituts soll aus einer Gruppe von fachlich einschlägig ausgewiesenen WissenschaftlerInnen bestehen. Dem Institut gehören weitere WissenschaftlerIinnen als reguläre oder assoziierte Mitglieder an. Es ist eine Geschäftsstelle mit Geschäftsführung einzurichten, die für den tagesaktuellen Betriebsablauf sorgt, intern koordiniert und externe Anfragen beantwortet oder weiterleitet. Die Arbeit des Instituts soll durch einen Beirat, zusammengesetzt aus renommierten Personen aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft, begleitet und ideell gefördert werden.

Berlin, April 2012

Initiativgruppe für ein Forschungsinstitut ‚Protest – Bewegung – Demokratie‘

Priska Daphi, Donatella della Porta, Roland Roth, Dieter Rucht, Simon Teune, Wolfgang Stuppert, Heike Walk und Sabrina Zajak

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