Der Berliner Doppelprotest „All Eyes on Gaza / Zusammen für Gaza“ am 27. September 2025 war Gegenstand einer universitätsübergreifenden Demonstrationsstudie unter dem Dach des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb). Die Datenerhebung des Forschungsteams um Prof. Dr. Felix Anderl und Dr. Tareq Sydiq (Philipps-Universität Marburg), Dr. Jannis Julien Grimm und Nina Moya Schreieder (Freie Universität Berlin, INTERACT) und Dr. Elias Steinhilper (DeZIM-Institut) folgte einem standardisierten Verfahren für Protestbefragungen, das bereits bei früheren ipb-Studien zum Tragen kam und On-site-Rekrutierung mit einem zweisprachigem Online-Fragebogen sowie Kurzinterviews zur Stichprobenkontrolle vor Ort kombinierte. Im Fokus standen Zusammensetzung und Motivationen der Teilnehmenden, ihr Vertrauen in politische Institutionen sowie Wahrnehmungen des gesellschaftlichen Klimas. Mit geschätzten 60.000 bis 100.000 Teilnehmenden handelte es sich um die bislang größten Palästina-Solidaritätsproteste in Deutschland. Insgesamt wurden über 1.000 Personen angesprochen, rund 30 Prozent beteiligten sich an der Online-Umfrage mit einem individuellen Zugangscode.
Die Ergebnisse der jetzt als ipb working paper erschienenen Studie zeigen überwiegend junge, hoch gebildete und politisch links verortete Teilnehmende, deren Engagement vor allem auf gewaltfreie, legale und kommunikative Ausdrucksformen zielt. Sichtbar wird ein bürgerlich-zivilgesellschaftlich verankertes Protestmilieu, das moralisch-symbolische Beteiligung betont. Hohe Zustimmung zur Anerkennung eines palästinensischen Staates geht mit der klaren Unterstützung des besonderen Schutzes jüdischen Lebens in Deutschland einher, was auf differenzierte Positionierungen jenseits einfacher Lagerlogiken verweist. Zugleich berichten viele Befragte Erfahrungen mit Marginalisierung und Repression. Beim institutionellen Vertrauen zeigt sich ein ausdifferenziertes Bild: Gerichte und kommunale Verwaltung werden relativ positiv bewertet, Sicherheits- und Exekutivbehörden kritischer. Insbesondere die Polizei und die Bundesregierung werden sehr negativ bewertet. Parteipolitisch sticht die Nähe zur Partei Die Linke hervor, ohne dass daraus eine generelle Parteienbindung abzuleiten ist. Die vorliegende Studie ordnet diese Ergebnisse in den aktuellen Protestzyklus ein.
Für Deutschland fehlten bislang belastbare Daten zu Zusammensetzung und Einstellungsprofil der Palästina-Solidaritätsproteste. Die innergesellschaftlichen Konflikte, die sich um die Palästinasolidarität auf deutschen Straßen entsponnen haben, sind aber prägend für die Zukunft der postmigrantischen Gesellschaft. Seit Herbst 2023 oszilliert die öffentliche Auseinandersetzung zwischen Unterbelichtung und Skandalisierung der Palästina-Solidaritätsproteste, während belastbare Daten dazu „wer demonstriert“ fehlten oder verspätet rezipiert wurden. An dieser Stelle setzt die vorliegende Studie an: Sie stellt einer polarisierenden öffentlichen Debatte eine empirisch fundierte Beschreibung von Zusammensetzung, Motiven und Wahrnehmungen der Demonstrierenden gegenüber und leistet einen empirischen Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Auseinandersetzung über Palästina-Solidarität in Deutschland.
Das ipb working paper „All Eyes on Gaza / Zusammen für Gaza. Profil der Solidaritätsproteste am 27. September 2025“ ist hier abrufbar.