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Rezension: Sabrina Zajak 2017 – Transnational Activism, Global Labor Governance, and China. Palgrave Macmillan

Auf unserem Blog stellen wir in unregelmäßigen Abständen Buchpublikationen von ipb-Mitgliedern vor. Den Anfang machte eine Rezension zu Social Theory and Social Movements. Mutual Inspirations (2016, VS), herausgegeben von Jochen Roose und Hella Dietz. Es folgt nun Melanie Kryst mit einer Rezension zu Transnational Activism, Global Labor Governance, and China von Sabrina Zajak (2017, Palgrave Macmillan).

Die Rezension erschien ursprünglich unter dem Titel „Neue Wege für Arbeitsstandards in China“ in Heft 1-2/2018 des Forschungsjournals Soziale Bewegungen.


Arbeitsrechte in China rücken seit der Integration der Volksrepublik in die globale politische Ökonomie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Sabrina Zajak verfolgt in ihrem Buch ‚Transnational Activism, Global Labor Governance, and China’ strukturiert die verwobenen Wege der transnationalen Mobilisierung von Gewerkschaften und sozialen Bewegungsorganisationen gegenüber China. Das Buch setzt bei den Protesten der Demokratiebewegung 1989 an und zeichnet den Aktivismus für Arbeitsstandards anschaulich bis heute nach. Die analytische Stärke des Buches liegt in der Integration von aktuellen Ansätzen des labor transnationalism und der transnationalen Institutionenbildung. Zajak erforscht multi level-Strategien von ArbeitsaktivistInnen und beobachtet, wie dabei alte und neue Institutionen der Arbeitsregulierung interagieren.

Multiple Pfade der Mobilisierung

Um transnationalen Aktivismus, transnationale Institutionen und den nationalen Kontext im Feld der Arbeitsregulierung zu verbinden, entwickelt Zajak einen innovativen Analyserahmen transnationaler Einflusspfade (aufbauend auf Bernstein und Cashore 2000). Der Pfadbegriff lenkt den Fokus überzeugend von Gelegenheitsstrukturen hin zu dynamischen Interaktionen der AktivistInnen mit ihrem Kontext: AktivistInnen „travel a certain path“ (9) und könnten diesen wiederum selbst verändern. Vier verschiedene Pfade des transnationalen Arbeitsaktivismus werden unter dieser Prämisse nachgezeichnet:

(1) Der erste Pfad der internationalen Organisationen ist durch die Kanäle der International Labour Organization (ILO) bestimmt, so die Autorin: AktivistInnen könnten Beschwerdeverfahren gegenüber China nutzen, es komme zum direkten Kontakt mit der Staatsgewerkschaft All-China Federation of Trade Unions (ACFTU) und zur Beeinflussung der lokalen Ebene durch Projekte vor Ort (66ff.). Insbesondere die Kernarbeitsnormen sowie die Decent Work-Agenda der ILO etablierten sich als Referenzgrößen in anderen Pfaden. Über die Zeit zeige sich eine selektive Kongruenz zwischen den Forderungen der ILO, denen der ArbeitsaktivistInnen und der chinesischen Arbeitspolitik.

(2) Der bilaterale Pfad wird von Zajak durch die Beziehungen zwischen der EU und China beschrieben: über EU-Institutionen, institutionalisierte Kanäle der Handelspolitik und spezifische EU-China-Foren wie zivilgesellschaftliche Formate oder sektorale Dialoge könnten ArbeitsaktivistInnen ihre Strategien anbringen (105ff.). Hier zeige sich bisher aber eine eingeschränkte Partizipation der AktivistInnen, mit Ausnahme der europäischen Gewerkschaftsverbände. Hingegen sei die Verpflichtung der EU selbst zu einer sozialen Agenda folgenreich gewesen und habe zu einem konstruktiven europäischen Engagement in China geführt.

(3) Der Pfad des Marktes fokussiert daneben die Einflussversuche über private Governanceformen. AktivistInnen adressierten in diesem Pfad transnationale und lokale Unternehmen. Zajak analysiert exemplarisch die – wenig erfolgreiche – Play Fair-Kampagne im Zuge der Olympischen Spiele in China 2008 sowie die Partizipation in privaten Multistakeholder-Initiativen (153ff.) und wirft einen Blick auf die Effekte privater Regulierung auf lokaler Ebene (176ff.). Die Autorin zeigt Probleme der Nutzung von Instrumenten der Corporate Social Responsibility (CSR) auf, die im Sinne der chinesischen präferierten „harmonischen Arbeitsbeziehungen“(195) interpretiert würden, und in der andauernden Schwäche von ArbeiterInnen in chinesischen Fabriken begründet lägen.

(4) Als zivilgesellschaftlichen Pfad benennt Zajak schließlich die Förderung von Organisationen auf lokaler Ebene über transnationale Netzwerke. Sie analysiert beispielhaft vier Organisationen, die sie auf einem Kontinuum zwischen Bewegungs- und Uunternehmensorientierung einordnet. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass im Zuge der privaten Governanceformen so genannte labour support-Organisationen, die mit Zertifizierungs- beziehungsweise Multistakeholderinitiativen (MSIs) und internationalen Geldgebern zusammenarbeiten, in das Feld der industriellen Beziehungen in China einträten (215). Es entstehe ein „contained multipartism“ (242): Die ArbeitsaktivistInnen operierten unter Restriktionen und Kontrollen des Staates, der Staatsgewerkschaft und der Arbeitgeber, was unpolitische CSR-service provider favorisiere, während Kollektivverhandlungen und freie Gewerkschaften ins Hintertreffen gerieten.

Detailreich und theoretisch rückgebunden führt die Autorin die LeserInnen durch diese verschiedenen Pfade des Arbeitsaktivismus, die miteinander interagieren, und zeigt intendierte und unbewusste Effekte von strategischen Bemühungen der ArbeitsaktivistInnen auf globaler und lokaler Ebene auf. In ihrem Analyserahmen differenziert Zajak diese Interaktionen in a) Interaktionen innerhalb der Pfade (intra-pathway dynamics), b) Interaktionen zwischen den verschiedenen Pfaden (inter-pathway dynamics) und c) Verbindungen von der globalen zur lokalen Ebene (global-local link) (11ff.).

Das Buch profitiert von einer breiten Interviewbasis in China, Europa und den USA. Mittels Process Tracing vermittelt es den LeserInnen einen sehr guten Eindruck von relevanten empirischen Entwicklungen und beschreibt einzelne Kanäle, Arbeitsorganisationen, Kampagnen oder private Governanceinitiativen im Detail, wenngleich ausgewählte Beispiele etwa im Pfad des Marktes exemplarisch bleiben. Zwangsläufig bietet das Buch keine allumfassende Perspektive auf Outcomes von Strategien der ArbeitsaktivistInnen, sondern zeichnet durch Rückschlüsse der qualitativen Studie von „sub-cases“ (21) die Effekte in den verschiedenen Pfaden nach (21). Der „Flickenteppich“ (Koch-Baumgarten 2006: 211) an informellen und minimalistischen Governanceansätzen in der Arbeitsregulierung erschwert unvermeidlich eine vollständige Bewertung von Ergebnissen.

Zajak richtet einen sich lohnenden Blick auf nicht-staatliche Akteure und ihre Bemühungen in der transnationalen Governancearchitektur von Arbeit. „[T]ransnational labor-rights activism“ (2) umfasst bei ihr die Interaktionen von Gewerkschaften, sozialen Bewegungsorganisationen und NGOs, welche multiple Adressaten mit Insider- und Outsider-Strategien ansprechen. Mit diesem breiten Verständnis von Arbeitsaktivismus schlägt die Analyse eine Brücke von der industriellen Beziehungs- zur sozialen Bewegungsforschung, welche sich bislang noch weitestgehend unabhängig voneinander entwickeln. Besonders in der Revitalisierungsforschung werden Koalitionen von Gewerkschaften mit NGOs oder community organizations als neue Machtressource identifiziert, doch bislang gibt es hierzu nur wenige Ausnahmen empirisch fundierter Forschung (siehe Überblick in Egels-Zandén/Lindberg/Hyllman 2015). Zajak beschreibt mit dem analytischen Rahmen der transnationalen Pfade einen Möglichkeitsraum für das Handeln unterschiedlicher Gruppen von ArbeitsaktivistInnen und benennt Besonderheiten der einzelnen Akteursgruppen, etwa der Gewerkschaften in Bezug auf Lobbying (20) oder der NGOs hinsichtlich der Teilnahme an MSIs (160). Die jeweilige Strategiewahl der Akteure und deren Ursachen in Ideologien, Fähigkeiten, Routinen oder Erfahrungen bleiben jedoch nur angedeutet (12f.) und sollten in weiteren Arbeiten theoretisch präziser und empirisch basiert bestimmt werden.

Chinas Macht

Mit Blick auf Chinas Produktionssystem zeigt Zajak kenntnisreich, wie der globale Regulierungswandel mit einem Wandel in lokalen Praktiken verbunden ist. China ist dabei ein äußerst interessantes Beispiel. Das Land integrierte sich mittels ökonomischer Reformen seit den 1980er Jahren in den Welthandel, bei gleichzeitig weitgehender Beibehaltung des politischen Systems. Chinas Gegenmacht zum Arbeitsaktivismus, der „boomerang defense mechanisms“ (257), wird von Zajak in die interne und externe Stärke des Staates differenziert, auf welche die Einflusspfade unterschiedlich sensitiv reagierten. Dabei könne der Staat zum Beispiel internationale Normen behindern, Ergebnisse auf lokaler Ebene lenken (zum Beispiel durch Widerstand oder gate-keeping) sowie heimische Organisationen von transnationalen Pfaden abhalten. Es scheine damit auf den ersten Blick unwahrscheinlich, dass transnationaler Aktivismus in China einen Effekt im Produktionsregime habe (4).

Ergebnisse auf der nationalen Ebene bleiben begrenzt, doch Organisationen bemühten sich in „boundary stretching work“ (261). Zajak erkennt, wie die industriellen Beziehungen in China zwar die Arbeitgeber favorisieren, aber Änderungen in der Arbeitsrechtsgesetzgebung durch eine selektive Responsivität des Regimes und inkrementelle Reformen den Möglichkeitsraum für lokale labour support-Organisationen erweiterten (48). Die Staatsgewerkschaft ACFTU, zur Befriedung von Konflikten gedacht, biete zudem nicht genügend Schutz für ArbeiterInnen und lasse eine Nische für neue Organisationen entstehen. Dennoch blieben vor allem im Pfad des Marktes ungenutzte Möglichkeiten wegen fehlender unabhängiger Gewerkschaften vor Ort und transnationaler Aktivismus sei aufgrund der zweifelhaften Autonomie chinesischer Organisationen schwierig zu erreichen (55). Diese Zusammenhänge verdeutlichen das komplexe Governancearrangement der Arbeitsregulierung, in dem sich ArbeitsaktivistInnen weltweit bewegen. Das Buch von Zajak trägt für ForscherInnen von Globalisierungs- und Mobilisierungsprozessen gleichermaßen dazu bei, diese alten und neuen Wege für Arbeitsstandards – nicht nur in China – systematisch zu erforschen.

Verwendete Literatur

Bernstein, Steven/Cashore, Benjamin 2000: Globalization, Four Paths of Internationalization and Domestic Policy Change: The Case of Ecoforestry in British Columbia, Canada. In: Canadian Journal of Political Science/Revue canadienne de science politique, Jg. 33, 67-99.

Egels-Zandén, Niklas/Lindberg, Kajsa/Hyllman, Peter 2015: Multiple institutional logics in union-NGO relations: private labor regulation in the Swedish Clean Clothes Campaign. In: Business Ethics: A European Review, Jg. 24, Heft 4, 347-360.

Koch-Baumgarten, Sigrid 2006: Globale Gewerkschaften und Industrielle Beziehungen in der Global Governance. In: Industrielle Beziehungen, Jg. 13, Heft 3, 205-222.

 

Photo by EJ Yao on Unsplash

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