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Rezension: Haunss & Sommer (Hg, 2020) – Fridays for Future. Die Jugend gegen den Klimawandel

Auf unserem Blog stellen wir in unregelmäßigen Abständen Buchpublikationen von ipb-Mitgliedern vor. Die verlinkte Liste der bereits besprochenen Bücher befindet sich am Ende des Beitrags. Es folgt nun Philipp Knopp (Wien) mit einer Rezension zu Haunss, Sebastian & Sommer, Moritz (Hg, 2020): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel: Konturen der weltweiten Protestbewegung (Transcript). Die Rezension erschien ursprünglich unter dem Titel „Fridays for Future zwischen Schulstreik, Großprotest und Ermüdung“ in Heft 2/2021 des Forschungsjournals Soziale Bewegungen.


Fridays for Future brachte die Klimakrise im Jahr 2019 mit Vehemenz auf die politische und mediale Tagesordnung. Zugleich warf die große Resonanz Fragen zur Bewegung selbst auf: Wer steckt hinter Fridays for Future? Wie organisieren sich die zumeist jungen Aktivist*innen? Was kann Fridays for Future bewirken? Und zuletzt: wie geht es in und nach der Corona-Krise mit der Bewegung weiter?

Sebastian Haunss und Moritz Sommer legen nun einen Sammelband vor, der sich diesen Fragen aus der Perspektive der Protest- und Bewegungsforschung widmet. Die interdisziplinären Beiträge stützen sich auf empirische Analysen. Deren Herzstück bilden internationale, standardisierte Befragungen bei Großprotesten von Fridays for Future im Jahr 2019. Hinzu kommen ethnografische Beobachtungen von wöchentlichen Schulstreiks und Koordinationstreffen, Interviews über die Mobilisierungsarbeit und Untersuchungen zur medialen und politischen Resonanz. Dieser methodische Pluralismus erlaubt es dem Sammelband, ein vielschichtiges Bild von Fridays for Future zu zeichnen.

Blick auf die Zahlen

Die medialen Kommentare auf Fridays for Future waren sich schnell einig, dass die Bewegung als Jugendphänomen einzuordnen sei. Doch wie hat sich die Altersstruktur der Bewegungen mit ihren neuen Bündnissen und wachsendem Bekanntheitsgrad verändert? Die Demonstrationsbefragungen zeigen, dass die Bewegung zwischen März und November 2019 schnell gealtert ist. Dennoch blieben die unter 25-Jährigen weiterhin die stärkste Gruppe. Relativ stabil blieb auch die sozialstrukturelle Verankerung im progressiven, weißen und höhergebildeten Mittelschichtsmilieu. Migrant*innen, Arbeiter*innen, Haupt- und Realschüler*innen waren weiterhin nur marginal vertreten. Das ist für die deutsche Umweltbewegung nicht ungewöhnlich.

Der europäische Vergleich der Großproteste im März und September von Neuber et al. (67-94) zeigt in dieser Hinsicht neben vielen Parallelen, auch einige Unterschiede auf. Die Protestierenden in Italien und Polen waren etwa besonders jung und weiblich, gehörten aber häufiger der oberen Mittelschicht mit akademischem Bildungshintergrund an. In Belgien, der Schweiz und Schweden mobilisierten Umweltverbände bereits früh zu den Protesten, was sich in einer breiteren Altersstruktur im März 2019 niederschlägt.

Blick in die Praxis

Auch hinsichtlich der Mobilisierungswege wartete die öffentliche Debatte schnell mit Urteilen auf: Die Jugendlichen seien digital natives, ihre Mobilisierung internetgebunden. Die Analyse der Befragungsdaten von Sommer et al. bieten hier ein differenzierteres Bild. Soziale Medien spielen eine wichtige Rolle, dennoch scheint die Schule als wichtiger politisierender Ort zu wirken: „Persönliche Gespräche stellen ein höheres Maß an Verbindlichkeit her als mittelbare Informationen über digitale und analoge Medien – was vor allem für diejenigen, die zum ersten Mal protestieren, ein wichtiger Faktor sein dürfte“ (39). Dies verdeutlichen auch die Analysen von Teune (131-146) und Grupp et al. (115-130) zum Schulstreik als charakteristischer Protestform von Fridays for Future. Teune resümiert, dass es das störende und Aufsehen erregende Moment des Schulstreiks sei, den „Beitrag zu alltäglichen Abläufen – und damit zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Normalität – auf[zu]kündigen“ (136). Grupp et al. beschreiben dabei auch den Umgang der Schulen mit der Protestform. Die Reaktionen reichten von aktiver Unterstützung der Schüler*innen bis zu Schulverweisdrohungen.

Blick auf die Hinterbühne

Proteste und offene Streiks sind allerdings nur die „Spitze des Eisberges“ der Arbeit von sozialen Bewegungen (249). Döninghaus et al. (147-162) und Rucht und Rink (95-115) widmen sich daher den Hinterbühnen und lokalen Kontexten der Bewegung. Sie zeichnen detailliert die Spannungsfelder von kollektiver Identität und basisdemokratischen Ansprüchen im Bewegungsalltag nach. Dies betrifft die Konsensfindung, Wissenshierarchien, Diskussionen um drohenden Personenkult, aber auch das lokal variierende Verhältnis zu anderen sozialen Konflikten und Bewegungen. Rucht und Rink widmen sich den persönlichen Folgen der einjährigen Dauermobilisierung. Innerhalb eines Jahres standen die Aktivist*innen vor der Herausforderung, die Mobilisierung und Organisierungsprozesse in Schulen durch eine translokale politische Entscheidungs- und Kommunikationsinfrastruktur zu vernetzen, die unterschiedlichste lokale Gruppengrößen und -kulturen zu verbinden suchte. Für zentrale Aktivist*innen folgten Ermüdung und die Enttäuschung trotz großer Mobilisierungserfolge und großen persönlichen Einsatzes zu wenige legislative Erfolge erreicht zu haben (112).

Blick auf die Hintergründe

Um Fridays for Future zu verstehen, muss der Blick letztlich auch auf andere Akteur*innen und die Bedingungen gelenkt werden, in denen die Bewegung entstand. Viele der Beiträge führen Erfolge und Misserfolge der Bewegung entsprechend auf politische und mediale Chancenstrukturen zurück. Goldenbaum und Thompson (181-204) analysieren die Deutungsrahmen von Massenmedien und Politiker*innen. Gerade zu Beginn förderten wirtschaftsliberale und konservative Stimmen erfolgreich eine „überproportionale Auseinandersetzung“ (198) mit den Aktionsformen und sprachen den jungen Aktivist*innen gleichzeitig den klimapolitischen Sachverstand ab. Dadurch verloren inhaltliche Ziele in der Frühphase an medialer Sichtbarkeit. Nichtsdestotrotz etablierte sich die Bewegung Stück für Stück als anerkannte Stimme in der Klimapolitik.

Eine weitere medial diskutierte Vermutung war, dass etablierte Umweltorganisationen Fridays for Future steuern würden. Tatsächlich war das Verhältnis zu Fridays for Future im ersten Jahr jedoch deutlich komplizierter und die Rücksicht auf die Autonomie der Bewegung ein Teil der Abwägungen anderer Akteur*innen. Verbindungen zu Umweltorganisationen reichten von finanzieller Unterstützung, über Beteiligungen an Mobilisierungen bis hin zu betonter Zurückhaltung und inhaltlichen Divergenzen. Gentes et al. (163-180) heben dabei die strukturellen und formalen Differenzen zwischen NGOs und Protestbewegungen hervor, die sowohl strategische Kontroversen als auch wechselseitige „neue Handlungsmöglichkeiten“ (177) durch die zurückhaltende Kooperation beider Seiten erklären können.

Blick in die Zukunft

Insbesondere die Corona-Krise dient dem Sammelband als Ausgangspunkt für Prognosen über die Zukunft der Bewegung. Die optimistischste These vertreten Hurrelmann und Albrecht (227-236), die Fridays for Future als Anzeichen einer „Generation Greta“ ansehen; einer hochgradig politischen und selbstbewussten Jugend, für die der Konflikt um den Klimawandel zum aktivierenden politischen Ereignis wurde, deren revolutionärer Geist aber auch auf andere politische Themenfelder übertragbar sei. Den pessimistischen Flügel repräsentieren Rucht und Rink. Sie vermuten, dass die 15-monatige Mobilisierung bis zum ersten Corona-Lockdown einen geschlossenen Protestzyklus abbilde, Kernaktivist*innen ausgebrannt seien und Fridays for Future letztlich kaum politische Erfolge verbuchen könne. Die Corona-Pandemie koinzidiere letztlich mit einem bereits vorgängigen Abschwung der Mobilisierung.

Die im Sammelband an vielen Stellen geführte Diskussion über die Zukunft von Fridays for Future soll hier kurz weitergeführt werden. Die benannten ambivalenten Zukunftsaussichten kristallisierten sich im Zuge des fünften Klimastreiks im April 2020, für den Fridays for Future global digital mobilisierte. Die Pessimist*innen unter den Autor*innen des Sammelbands finden Bestätigung im Rückgang der Teilnehmer*innenzahlen und der abnehmenden medialen und politischen Aufmerksamkeit. Optimistischer mag stimmen, dass es sich dennoch um das bisher größte Online-Protestevent Deutschlands handelte (Hunger/ Hutter 2020). Fridays for Future scheint also gerade im Vergleich zu anderen progressiven Bewegungen für die Überbrückung der Krise gut gewappnet zu sein.

Jenseits des Großevents ist eine anhaltende Auseinandersetzung mit den eigenen Protestformen zu beobachten. Mancherorts zeichnet sich zudem eine erneute Verbreiterung der lokalen Bündnisse von Fridays for Future ab, gepaart mit einer stärkeren Berücksichtigung von Fragen sozialer Gerechtigkeit. Die Unterstützung von Streiks im öffentlichen Nahverkehr in Berlin und beim Amazon-Konzern sind praktische Ausdrücke der zunehmenden Anerkennung der Komplexität multipler Krisen. Sie weisen – wie auch Hurrelmann und Albrecht argumentieren – darauf hin, dass sich Fridays for Future weg von einer single-issue-Bewegung entwickeln könnte und auf der Basis ihrer Popularität die Beziehungsarbeit zu Arbeits- und Migrationskonflikten übernehmen könnte, an deren Widersprüchen die Klimabewegung bislang oft scheiterte.

Ob der Sammelband ein Zwischenfazit auf die Frühphase einer jungen sozialen Bewegung ist oder bereits ihr Abschlussbericht, bleibt somit offen. Jedenfalls bietet „Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel“ mit der Kombination aus detailreichen Studien und überzeugenden Einordnungen eine Diskussionsgrundlage für die Forschung sowie für Aktivist*innen und Interessierte. Der Sammelband ist dabei ein hervorragendes Beispiel dafür, wie methodenplurale und multiperspektivische Forschungsansätze ein Bild einer sozialen Bewegung zeichnen können, das umfassend informiert und gleichermaßen Debatten anregt. Gerade durch die Verankerung in breit angelegten empirischen Forschungen ist der Sammelband auch eine wichtige Ergänzung zu den kürzlich erschienen Erlebnisberichten einiger Aktivist*innen von Fridays for Future. Umso erfreulicher ist, dass der Band als open access in der digitalen Ausgabe frei zugänglich ist.

Verwendete Literatur

Hunger, Sophie/Swen Hutter 2020: Protest in der Corona-Krise. Der Netzstreik fürs Klima. 19. Mai 2020. https://www.wzb.eu/de/forschung/corona-und-die-folgen/protest-in-der-corona-krise-der-netzstreik-fuers-klima.

Photo by Markus Spiske on Unsplash


Auf unserem Blog stellen wir in unregelmäßigen Abständen Buchpublikationen von ipb-Mitgliedern vor. Bisher sind Rezensionen zu folgenden Büchern erschienen:

Ganz, Kathrin. 2018.  Die Netzbewegung. Subjektpositionen im politischen Diskurs der digitalen Gesellschaft (Verlag Barbara Budrich), rezensiert von Friederike Habermann.

Müller, Melanie. 2017Auswirkungen internationaler Konferenzen auf Soziale Bewegungen (Springer VS), rezensiert von Antje Daniel.

Roose, Jochen / Dietz, Hella (Hrsg.). 2016 Social Theory and Social Movements. Mutual Inspirations (Springer VS), rezensiert von Janna Vogl.

Zajak, Sabrina. 2016. Transnational Activism, Global Labor Governance, and China (Palgrave), rezensiert von Melanie Kryst.

Daphi, Priska/Deitelhoff, Nicole/Rucht, Dieter/Teune, Simon (Hg.) 2017: Protest in Bewegung? Zum Wandel von Bedingungen, Formen und Effekten politischen Protests (Leviathan Sonderheft, Nomos), rezensiert von Luca Tratschin. 

della Porta, Donatella (Hg.): 2018. Solidarity Mobilizations in the ‚Refugee Crisis‘ (Palgrave), rezensiert von Leslie Gauditz.

Daphi, Priska 2017: Becoming a Movement – Identity, Narrative and Memory in the European Global Justice Movement (Rowman & Littlefield), rezensiert von Johannes Diesing. 

Mullis, Daniel 2017: Krisenproteste in Athen und Frankfurt. Raumproduktionen der Politik zwischen Hegemonie und Moment (Westfälisches Dampfboot), rezensiert von Judith Vey.

Wiemann, Anna 2018: Networks and Mobilization Processes: The Case of the Japanese Anti-Nuclear Movement after Fukushima (Iudicium), rezensiert von Jan Niggemeier. 

Lessenich, Stephan 2018: Neben uns die Sintflut: Wie wir auf Kosten anderer Leben. München (Piper), sowie Brand, Ulrich/Wissen, Markus 2017: Imperiale Lebensweise: Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im Kapitalismus (oekom), rezensiert von Fabian Flues.

Grote, Jürgen R./Wagemann, Claudius 2019: Social Movements and Organized Labour (Routledge), rezensiert von Susanne Pernicka. 

Maik Fielitz/Nick Thurston (Hg.) 2020: Post-Digital Cultures of the Far Right. Online Actions and Offline Consequences in Europe and the US (Transcript), rezensiert von Tobias Fernholz.

Grimm, Jannis/Koehler, Kevin/Lust, Elisabeth/Saliba, Ilyas/Schierenbeck, Isabelle 2020. Safer Field Research in the Social Sciences. A Guide to Human and Digital Security in Hostile Environments (Sage), rezensiert von Luca Miehe. 

Vey, Judith/Leinius, Johanna/Hagemann, Ingmar 2019: Handbuch Poststrukturalistische Perspektiven auf soziale Bewegungen Ansätze, Methoden und Forschungspraxis (Transcript), rezensiert von Alexandra Bechtum und Carolina A. Vestana.

Bosse, Jana 2019: Die Gesellschaft verändern. Zur Strategieentwicklung in Basisgruppen der deutschen Umweltbewegung (Transcript), rezensiert von Andreas Kewes

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