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AK rechte Protestmobilisierungen in Dresden gegründet

Rechte Protestmobilisierungen stellen aufgrund ihrer teilweise spezifischen strukturellen Merkmale oftmals neue bzw. verschärfte Anforderungen an die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit ihnen. Das zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung, die im Rahmen der Studie Protestforschung am Limit im Januar 2015 gesammelt wurden. So stellten die nach außen getragenen Einstellungskomplexe vieler PEGIDA-Teilnehmender die teilweise mit jahrzehntelanger Erfahrung ausgestatteten Forschenden bereits in Bezug auf das Studiendesign vor große Herausforderung:

  • Unter immensem Zeitdruck musste ein Forschungsdesign für eine „dem Establishment“ (und damit auch der Wissenschaft) gegenüber abweisend eingestellte Protestbewegung entwickelt werden.
  • Es musste eine Strategie gefunden werden, um etwa Fragen zu Rassismus an ein Untersuchungsobjekt zu stellen, das zwar unter dem Verdacht des Rechtsradikalismus stand, diesen jedoch vehement abstritt.

Das alles blieb nicht ohne Konsequenzen in der praktischen Durchführung, sodass u.a. keine repräsentativen Ergebnisse generiert werden konnten. Ein Grund hierfür ist sicherlich eine ablehnende bis offen feindselige Haltung von einem nicht unerheblichen Teil der PEGIDA-Teilnehmenden gegenüber den Erhebungsteams, was sich häufig in verbaler und seltener auch physischer Aggression äußerte.

Von ähnlichen Erlebnissen sowie methodischen und praktischen Problemen berichten ebenfalls zahlreiche andere Teams, die Daten unter den Dresdner Demonstrierenden erhoben haben. Inzwischen liegt eine wahre Vielzahl von methodisch diversen Annäherungen an PEGIDA in Dresden vor, die neben weiteren Datenerhebungen auf den Demonstrationen (z.B. Werner J. Patzelt oder Karl-Heinz Reuband) ebenfalls theoretische Erklärungsansätze für das Protestgeschehen in der sächsischen Landeshauptstadt umfasst (z.B. Karl-Siegbert Rehberg, Tino Heim oder Oliver Nachtwey).

In diesem Zusammenhang hat der Initiativkreis „Rechte Protestmobilisierungen“ des ipb als Netzwerk von Expert*innen für rechte Demonstrationserforschung den Versuch unternommen, die bisherigen Ansätze im Rahmen eines Praxisworkshops zusammenzuführen. Ausgehend von den Erfahrungen bei vorangegangenen Demonstrationsbefragungen stand die Reflexion und Weiterentwicklung des notwendigen Methodeninstrumentariums zur „Sozialwissenschaftlichen Datenerhebung im Rahmen rechter Protestmobilisierungen“ im Mittelpunkt des gleichnamigen Workshops.

Zur Erarbeitung eines gemeinsamen Einblicks in die Erhebungsmethoden und -praxis fanden sich am 13. Februar 2017 insgesamt 22 Expert*innen in den Räumen der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung ein. Neben Vertreter*innen zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen waren auch Akteur*innen aus den Bereichen der politischen Bildung und der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der (extremen) Rechten anwesend.

Den Praxisworkshop eröffneten Vertreter*innen des ipb (Piotr Kocyba, Dieter Rucht und Simon Teune) sowie der beiden Befragungsteams um Hans Vorländer (Steven Schäller) und Werner J. Patzelt (Christian Eichardt, Clemens Pleul, Stefan Scharf). So konnte ein breiter Überblick in Bezug auf die jeweiligen Vorüberlegungen bzw. Designs der Befragungen sowie zu den persönlichen Erfahrungen im Forschungsfeld als Grundlage der anschließenden Diskussionen gewonnen werden. Im Mittelpunkt der konstruktiven (und oftmals selbstkritischen) Inputs standen vor allem zwei Problemstellungen: einerseits die mögliche Maximierung der Rücklaufquote sowie andererseits die Minimierung der Reibungspunkte zwischen Forscher*innen und Pegida-Demonstrant*innen. Im Verlauf der Diskussionen wurde der deutliche Austausch- und Vernetzungsbedarf in diesem Themenfeld deutlich, um zukünftig methodische Absprachen bzw. Reflexionen (etwa zu der Gestaltung der Fragebögen) sowie eine stärkere Koordinierung einzelner Erhebungen zu ermöglichen.

Im Anschluss an die Reflexion der bisherigen quantitativen Zugänge lag am Nachmittag der Fokus auf den Potentialen und Grenzen von qualitativen Methoden zur Erforschung rechter Protestmobilisierungen. Vorgestellt wurden laufende Arbeiten, die (biographische) Interviews als Basis nutzen (Clara Zeitler und Lisa Richter) oder entsprechende Protestereignisse aus theaterwissenschaftlicher Sicht mit der Methode der ‘performance analysis’ untersuchen (Sebastian Sommer). Hierbei wurde deutlich, inwieweit das Zusammenspiel unterschiedlicher methodischer Ansätze das (wissenschaftliche) Bild der betrachteten Protestbewegungen um neue (detailreiche) Erkenntnisse erweitern bzw. vervollständigen kann.

Allerdings wurden auch ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Befragung von Demonstrant*innen offensichtlich: Probleme beim Zugang zum Feld bzw. zu Interviewpartner*innen, aggressive Reaktionen auf Forschende oder teilweise diskriminierende bis strafrechtlich relevante Aussagen der Gesprächspartner*innen. Dies alles hat dabei nicht nur methodische Konsequenzen, sondern führt ebenso zu emotionalen Belastungen der Forschenden und zu Bedenken, inwiefern die eigene Sicherheit gewährleistet werden kann.

Den abschließenden Teil der Veranstaltung leitete ein Kommentar vom langjährigen Direktor der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, Frank Richter, ein. Im Anschluß daran stellten Akteur*innen aus der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der (extremen) Rechten (u.a. von der Amadeu Antonio Stiftung und vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum – apabiz aus Berlin) ihre spezifischen Herangehensweisen und Methoden zur Betrachtung und Beurteilung rechter Protestmobilisierungen vor. Der zusammenfassende Ausblick der beiden Protestforscher Dieter Rucht und Simon Teune verdeutlichte, dass der gemeinsame Praxisworkshop nur der Anfang von notwendigen und tiefer gehenden Auseinandersetzung im Themenfeld sein kann.

Trotz der Vielfalt an Zugängen zu rechten Protestmobilisierungen bestehen weiterhin zahlreiche methodische, organisatorische wie auch ethische Forschungslücken, die nur mit gemeinsamer Anstrengung zu schließen sind. Deshalb hat sich infolge des Praxisworkshops aus der Initiativgruppe Rechte Protestmobilisierungen ein Arbeitskreis gegründet, der unter dem Dach des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung eine Plattform zur langfristigen Vernetzung von Forscher*innen rechter Demonstrationen aufbauen und zur Verfügung stellen will.

Foto: Strassenstriche.net, cc-by-nc 2.0, via Flickr

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