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Interview: Warum protesieren so wenige gegen NSA?

Mauer Protest nach NSA-Enthüllungen stellt auch Forscher vor Rätsel – Peter Ullrich im Interview (Fragen: Isabell Scheuplein, dpa)

Der NSA-Skandal hat zwar für Empörung gesorgt, zu großen Protesten kam es aber nicht – trotz potenziell Millionen Betroffener. Dass sich das noch ändert, sieht ein Berliner Wissenschaftler skeptisch.

Berlin/Frankfurt (dpa/lhe) – Die Enthüllungen von Edward Snowden über die Überwachungspraxis des US-Geheimdienstes NSA hat viele Menschen und Politiker empört. Eine große Protestwelle ist daraus aber nicht entstanden. Das Thema sei wohl einfach zu abstrakt, sagt der Berliner Protestforscher Peter Ullrich im dpa-Interview zur Erklärung.

Warum gab es nach den Enthüllungen Edward Snowdens nicht mehr öffentlichen Protest?

Peter Ullrich: Zum einen ist das ein Thema, das zwar sehr viele Leute betrifft, aber relativ abstrakt ist. Die Gefahren, die drohen, die spürt man nicht so direkt. Dann sitzen die zentralen Gegner weit weg und sind durch Proteste nicht erreichbar. Dazu kommt, dass die Bürgerrechts- und Anti-Überwachungsbewegung nicht sehr stark ist. In den 80er Jahren war das bei der Volkszählung anders, auch nach dem 11. September 2001, als neue Überwachungsgesetze eingeführt wurden. Und es gibt in der Bundesrepublik noch immer eine sehr starke Staatsgläubigkeit. Die Menschen glauben, dass ihnen schon nichts passieren wird.

Hat Sie das als Forscher überrascht, dass es nicht mehr Protest gab?

Peter Ullrich: Überrascht wäre zu viel gesagt, aber es ist schon bemerkenswert. Man hätte angesichts der Massivität des Skandals mit deutlich mehr Protest rechnen können. Aber es kamen einfach viele Faktoren zusammen. Auch war der Zeitpunkt der Enthüllung im Sommer nicht gut geeignet. Aber trotzdem bleibt da auch ein gewisses Rätsel.

Steckt denn in dem Thema noch Protestpotenzial drin, wird sich da noch etwas tun?

Peter Ullrich: Das Thema bleibt weiter auf der Agenda, auch mit der Diskussion über eine Befragung Snowdens vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Und es gibt ja regelmäßig neue Enthüllungen. Die Bedeutung des Internets ist so immens und so zentral, dass wir auch in Zukunft mit solchen Krisen rechnen müssen. Deshalb nehme ich an, dass die Protestgruppen wachsen werden. Zugleich gibt es aber auch andere Themen, die die Menschen offensichtlich mehr ansprechen, wie etwa die starke Umweltbewegung zeigt. Das macht es dem Überwachungsthema schwer.

In Südhessen hat vor einem Jahr ein einzelner Demonstrant begonnen, gegen die NSA zu protestieren. Kann solches vereinzeltes Engagement überhaupt etwas ausrichten?

Peter Ullrich: Es gibt viele Fälle, bei denen die Taten von Einzelnen Signalwirkung hatten, wie etwa Rosa Parks zeigte, die sich als Zeichen gegen die Rassentrennung im Bus auf einen Platz gesetzt hat, auf dem sie eigentlich nicht hätte sitzen dürfen. Bei Protesten geht es auch darum, die eigene Unzufriedenheit zu demonstrieren und loszuwerden. Dann ist es gut, wenn man ein solches Ventil hat. Um aber wirklich eine Bewegung zu starten und dauerhaft kampagnenfähig zu bleiben, braucht man in der Regel eine starke Organisation hinter sich. Sonst wird es schwer, das kontinuierlich aufrecht zu erhalten.

ZUR PERSON: Der 1976 geborene Soziologe Peter Ullrich ist Bereichsleiter «Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte» am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin.

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg,

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