ipb workshop: Visibility, Surveillance, and Policing: Reconfigurations of Suspicion and Accountability in Protest Policing and Beyond

Universität Chemnitz, 28.11.2025

Bilingual Workshop (German/English) of the Working Group “Social Movements and Police” of the Institute for Protest and Social Movement Studies in collaboration with the research project “Local Publics and Social Conflicts Surrounding AI Security Technologies” and the research project “Visions of Policing”.

Organization: Katharina Fritsch, Philipp Knopp, Fabian de Hair, Stephanie Schmidt

Siehe Call for Papers hier.

Bitte senden Sie bis 15.07.2025 einen kurzen Abstract von ca. 300 Wörtern an philipp.knopp@phil.tu-chemnitz.de.

(Photo credits to DJ Paine on Unsplash)


Sichtbarkeit, Überwachung und Polizei: Rekonfigurationen von Verdacht und Verantwortbarkeit im Protest Policing und darüber hinaus

Der polizeiliche Blick hat die Sozialwissenschaften seit jeher beschäftigt. Schon frühe Studien haben auf die Oberflächlichkeit (Sacks 1972) und Selektivität (Feest und Blankenburg 1972) der visuellen Welterschließung der Polizei aufmerksam gemacht. Diese Analysen gingen häufig vom alltäglichen Streifendienst und Begegnungen zwischen Bürger:innen und Polizist:innen in face-to-face-Interaktionen aus. Die umfassende Mediatisierung der Sichtbarkeit (Thompson 2005) betrifft aber auch die Polizei (Goldsmith 2010). In den letzten Jahren haben Polizei- und Protestforscher:innen vermehrt darauf aufmerksam gemacht, dass neue soziotechnische Konfigurationen die Sichtbarkeits- und Machtverhältnisse auch im Protestgeschehen verändert haben (Melgaço und Monaghan 2018). Eine grundlegende Transformation der Herrschaftsstrukturen, die diese absichern, scheint jedoch ausgeblieben zu sein. Vielmehr ist ein offener Kampf um Sichtbarkeit entbrannt, in dem sich taktische und technologische Innovationen von Polizei und Protestierenden wechselseitig dynamisieren (Ullrich und Knopp 2018). Auch im gesellschaftlichen Alltag haben neue Technologien der Überwachung und der Sousveillance (Mann, Nolan, und Wellman 2003) längst Einzug gehalten. Smartphones und vielfältige neue Aufzeichnungsgeräte auf Seiten der Polizei (Bodycams, Drohnen, Dashcams, etc.) sowie verbesserte Bildbearbeitungs- und Analysetechnologien haben dazu beigetragen, dass immer mehr Bilder von Konflikt- und Gewaltsituationen aufgenommen werden und zirkulieren. Bilder von Polizeigewalt haben vielerorts dazu beigetragen, soziale Ungleichheit sichtbar zu machen. In diesen Bildern und Videos kristallisierte sich eine weit über die lokale Situation hinausgehende Wahrnehmung von Ungerechtigkeit.

Die Verfügbarkeit großer Datenmengen auf Online-Plattformen und die Automatisierung von Überwachung durch Künstliche Intelligenz bilden die soziotechnische Basis für eine weitere Rekonfiguration der Sichtbarkeitsverhältnisse im Protest Policing und im gesellschaftlichen Alltag. Seit geraumer Zeit experimentieren Polizeien mit
Gesichtserkennung (Selwyn u. a. 2024) und Predictive Policing (Egbert und Leese 2020) auch im Kontext der Überwachung von Protest (Binder 2016). Die neuen Überwachungstechnologien wurden allerdings ihrerseits zum Gegenstand von zivilgesellschaftlicher Kritik und Protesten, die mehr oder weniger erfolgreich zu gesellschaftlichen Kontroversen führten und wesentlich zur Regulierung von riskanten Sicherheitstechnologien beitrugen.

Vor dem Hintergrund dieser neuen technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist entscheidend, dass visuelle Überwachungstechnik nie isoliert auftritt. Sie ist vielmehr situiert in soziotechnischen Assemblages, die ihre Bedeutung, Verwendung und Wirkung wesentlich prägen. Die Sichtbarkeitsverhältnisse zwischen Polizei und Protest sind daher immer eingebettet in politische Diskurse, intersektionale

Ungleichheitsstrukturen sowie in technologische Ökologien. Diese Einbettungen und Vernetzungen bedingen Überwachungspraktiken, polizeiliche Verdächtigungen und selektive Behandlung nicht nur, sie bringen, so die alte These der empirischen Polizeiforschung, Ungleichheit differenziell mit hervor und prägen die Erfahrung von Marginalisierung, Stigmatisierung und Gewalt. Sie reproduzieren somit häufig Macht- und Herrschaftsverhältnisse. So betrifft die Technisierung des polizeilichen Blicks nicht nur die Beziehung zwischen Polizei und ‚Kriminellen‘, sondern auch die Frage, inwiefern sich Automatisierung und KI auf das Verhältnis der Polizei zu unterschiedlichen sozialen Gruppen auswirkt.

Der diesjährigen Jahresworkshop des Arbeitskreis Soziale Bewegungen und Polizei des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung widmet sich daher unter anderem folgenden Fragen:

  • Wie wird der Blick der Polizei durch neue Medien und Technologien rekonfiguriert?
  • Welche neuen Formen des Verdachts entstehen im Zusammenhang mit
    künstlicher Intelligenz und allgegenwärtiger Verdatung?
  • Wie wird Überwachung von sozialen Bewegungen thematisiert? Wie passen
    Protestakteur:innen und andere soziale Gruppen, die überwacht werden, ihre
    Praktiken an die neue soziotechnische Sichtbarkeit an?
  • Wie gehen Protestakteur:innen mit der Spannung zwischen politischer und
    versicherheitlichender Sichtbarkeit um? Wie gehen Polizeibeamt:innen und
    Polizeikräfte mit ihrer neuen Sichtbarkeit im Alltag und bei Protesten um?
  • Wie verändern „intelligente“ Überwachungstechnologien die Verdachts- und
    Sichtbarkeitspraktiken der Polizei im Allgemeinen?
  • Welche sozialen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen treiben die
    Technologisierung des polizeilichen Blicks voran? Welche öffentlichen und
    polizeilichen Diskurse prägen den soziotechnischen Wandel?
  • Wie tragen Protestakteur:innen zur Gestaltung und Rekonfiguration von
    Überwachungspraktiken bei?
  • Wie deuten Polizeibeamt:innen und andere Überwachungsberufe die jüngste
    Hinwendung zur KI-gestützten Überwachung?
  • Welche neuen Praktiken der Gegenüberwachung, Sousveillance und Kritik an
    ungerechtfertigten Polizeimaßnahmen entstehen im Kontext neuer Medien und
    KI?

 

Date And Time

28.11.2025
 

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