Rucht warnt davor, präventiv Kundgebungen zu verbieten. Wer nach dem schrecklichen Terrorangriff der Hamas die westlichen Werte betone, „was ich ja richtig finde“, müsse dann aber auch die damit verbundenen Rechte liberal auslegen. Der Rechtswissenschaftler Clemens Arzt verlangt zudem mehr Zurückhaltung von der Politik. Deren Aufgabe sei es nicht, den Menschen vorzuschreiben, auf welche Demo sie gehen sollen und auf welche nicht.
Süddeutsche Zeitung, 10.11.2023: Nahost-Konflikt: „Passt auf, mit wem ihr mitlauft“
Clemens Arzt (HWR) und Dieter Rucht (WZB)
Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Protestbewegungen mit einem klaren Schwerpunkt und konkreten Forderungen mehr Erfolgschancen haben als solche, die einen thematischen Gemischtwarenladen betreiben. Auch fehlt es dann im Hinblick auf einen sehr breiten Themenkatalog oft an fachlicher Expertise und gut begründeten Lösungsvorschlägen.
Augsburger Allgemeine Zeitung, 9.11.2023: Mehrheit der Deutschen hält Fridays for Future für gescheitert
Dieter Rucht (WZB)
„Es gibt wenig Raum, sich differenziert zu äußern und zum Beispiel Empathie gegenüber allen zivilen Opfern zu zeigen.“ So würden manche Personen, die ihre Solidarität mit den Menschen in Gaza ausdrücken möchten, nicht mit allen Botschaften auf pro-palästinensischen Demonstrationen übereinstimmen. „Umgekehrt sind Menschen nicht zur [Solidaritätsdemonstration für Israel] gegangen, weil sie die israelische Regierung nicht mit einer Carte blanche unterstützen wollen“, so Grimm.
Berliner Morgenpost, 31.10.2023: Israel-Hamas-Krieg: Die Sache mit der Positionierung
Jannis Grimm (FU Berlin)
Wenn Einzelne die Initiative ergreifen, zündende Ideen haben, Stimmungen auf den Punkt bringen, dann kann man in Wartestellung befindliche Gruppen ansprechen und als Antreiber oder auch Vermittler von Gruppen agieren, die ansonsten nicht kooperieren.
die tageszeitung, 29.10.2023: Protestforscher über ausbleibende Demos: „Risiko, im Abwarten zu versacken“
Dieter Rucht (WZB)
Ich nehme an, dass das deutsche Fridays for Future chapter [von den israelfeindlichen Posts von FFF international] nicht amused war. … Fridays for Future hat ja auch ein starkes Solidaritätsstatement rausgegeben, hat den Terror der Hamas ganz explizit verurteilt. Viel stärker kann man in Deutschland nicht in die Welt herausschreien: wir sprechen nicht mit dieser Stimme. Das sind nicht die Worte, die wir wählen würden.
NDR Kultur, 27.10.2023: Spaltungspotenzial bei Fridays for Future?
Jannis Grimm (FU Berlin)
Derzeit herrscht bei vielen leider die Wahrnehmung, dass man sich für eine Seite entscheiden und dabei implizit die andere komplett ausblenden muss. In der Wirklichkeit ist Empathie aber eben kein Nullsummenspiel. Trauer und Solidarität kann man durchaus mehreren Seiten geben, insbesondere der Seite der zivilen Bevölkerung, die sowohl in Israel als auch in Palästina am meisten unter diesem Konflikt leidet.
rbb 24, 24.10.2023: „Trauer und Solidarität kann man durchaus mehreren Seiten geben“
Jannis Grimm (FU Berlin)
Das Teilnehmen an einer Demonstration [sei] üblicherweise eine Form, die sich gegen staatliche Akteure richtet. Da gäbe es einen Widerspruch, sagt Ullrich, gerade wenn man die überparteiliche Rednerliste und den breiten Aufruf betrachtet. Auch diese Breite mache es dem Einzelnen nicht unbedingt leichter, teilzunehmen.
Tagesspiegel Online, 24.10.2023: Israel-Solidaritätsdemo in Berlin. Warum gingen „nur“ 10.000 zur Kundgebung?
Peter Ullrich (TU Berlin)
Die von der Marburger Gruppe angesprochene Systemkritik und die Forderungen in anderen sozialen Fragen würden grundsätzlich von vielen FFF-Anhängerinnen und Anhängern geteilt, erklärt Anderl. „Dass es da brodelt, ist bekannt.“ Fridays for Future in Deutschland habe diese Themen in der Vergangenheit aber meist bewusst gemieden – aus taktischen Gründen, meint der Professor: „Wenn man über Kapitalismus und andere große strukturelle Themen wie etwa Rassismus sprechen will, wird man in Deutschland schnell von Debatten ausgeschlossen.“
Hessenschau, 20.10.2023: „Keine Perspektive mehr“: Marburger Ortsgruppe von Fridays for Future löst sich auf
Felix Anderl (Uni Marburg)
Ich bin sicher: Die Energiewende der Merkel-Regierung war nur möglich, weil die Anti-AKW-Bewegung den Weg bereitet hatte. Protest erfolgt oft in Wellen. Deswegen war es für Fridays for Future auch so schwer, eine Kontinuität wöchentlicher Demos aufrechtzuerhalten. Die Protestforschung hilft uns, gesellschaftlichen Wandel zu verstehen.
Die Zeit, 19.10.2023: Worum geht’s … in der Protestforschung?
Sebastian Haunss (Uni Bremen)
Jeder Mensch, der meint, für die Rechte der Palästinenser demonstrieren zu wollen, darf das tun, auch wenn die Hamas Verbrechen begeht. Nach dem Nationalsozialismus und dem Holocaust hat Deutschland aus historischer Verantwortung den Schutz Israels zur Staatsräson erklärt. Das hat meine volle Unterstützung. Dennoch gilt auch hier uneingeschränkt das Versammlungsrecht. […] Die deutsche Staatsräson schafft keine Sonderregeln im Bereich der Versammlungsfreiheit.
Welt.de, 13.10.2023: „Deutsche Staatsräson schafft keine Sonderregeln im Bereich der Versammlungsfreiheit“
Clemens Arzt (HWR Berlin)