+++ zuerst erschienen in: TU Intern (1/2015) +++
Am 20. Oktober 2014, einem Montag, wurde aus der Facebook-Gruppe Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) ein Straßenprotest, der seit mehreren Wochen die Schlagzeilen beherrscht. Mit der Wahl des Wochentags stellt sich die Gruppe in die Tradition der friedlichen Revolution. „Wir sind das Volk“ schallt es wieder durch Dresden. Der Slogan der DDR-Bürgerbewegung wird in zwei Richtungen in Stellung gebracht: zum einen gegen alle, die die Protestierenden dem „Volk“ als fremd und bedrohlich gegenüberstellen – in erster Linie Menschen, die als Muslime und Flüchtlinge markiert werden – und zum anderen gegen ein „System“ von etablierter Politik und Medien, das die Bedürfnisse des „Volkes“ ignoriere – ganz wie früher das DDR-Regime.
Wir haben es in Dresden mit der größten rassistisch grundierten Protestmobilisierung in der Geschichte der Bundesrepublik zu tun. Der vorläufige Höhepunkt wurde am 12. Januar mit 18.400 Teilnehmenden erreicht (nach einer Zählung von einem Team um Dieter Rucht; nach Angaben der Polizei waren es 25.000, nach Angaben der Veranstalter 40.000 Teilnehmende). Wie kommt es, dass die PEGIDA so viele Menschen auf die Straße bringen konnte? Um diese Frage zu beantworten, reicht der kurze Atem der tagesaktuellen Medienberichterstattung nicht aus. Die PEGIDA sind nur als Kulmination mehrerer Entwicklungen verstehbar.
Was auf den Dresdner Straßen und Plätzen tönt, ist zuvor an anderen Stellen kaum übersehbar gewesen: In den Online-Ausgaben kommerzieller Medien ergießt sich ein Schwall giftiger Kommentare über Artikel, in denen muslimisches Leben in Deutschland zum Thema wird; die Autoren Sarrazin und Pirinçci glänzen mit Auflagen, die in die Hunderttausende gehen; die Alternative für Deutschland hat mit rechtspopulistischen Parolen bei Europa- und Landtagswahlen Erdrutschsiege in Serie produziert.
Die PEGIDA sind Teil dieser Entwicklung. Sie rufen einen anti-muslimischen Rassismus auf, der sich seit den Anschlägen des 11. September erschreckend weit verbreitet hat. Nach der letzten Befragung der Leipziger Sozialpsychologen Oliver Decker und Elmar Brähler denkt mittlerweile mehr als ein Drittel der Bevölkerung, dass Muslimen generell die Einwanderung nach Deutschland verwehrt werden sollte. Dieses Ressentiment ist weithin amalgamiert mit Homo- und Transphobie, dem Hass auf feministische und gleichstellungspolitische Positionen und der Ablehnung von Flüchtlingen.
Das letzte Motiv macht die PEGIDA auch zum Teil einer neuen Protestwelle. Bis dato waren Mobilisierungen gegen für Asylsuchende und Flüchtlinge vor allem dort zu finden, wo neue Unterkünfte geplant und eingerichtet wurden. Im sächsischen Schneeberg etwa gingen 1.800 Menschen auf die Straße, um eine geplante Sammelunterkunft zu verhindern. Dort und anderswo haben sich die NPD und andere Neonazis an die Spitze der Proteste gesetzt. In dieser Protestwelle hat sich das Tabu, gemeinsam mit der extremen Rechten zu demonstrieren, als brüchig erwiesen.
PEGIDA zeigt eine Verschiebung in der deutschen Protestkultur und stellt die Demokratie vor neue Herausforderungen
Die Selbststilisierung als Rufer gegen ein „System“ von etablierten Parteien und kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien ist ebenfalls keine Erfindung der PEGIDA. Sie scheint bei vielen Protestbewegungen auf. In der hermetischen, ja, manichäischen Auslegung wurde diese Frontstellung im Sommer 2014 schon bei den verschwörungsideologisch durchsetzten Montagsmahnwachen für den Frieden sichtbar. Eine Befragung des Vereins für Protest- und Bewegungsforschung in Kooperation mit dem Zentrum Technik und Gesellschaft zeigte ein tiefes Misstrauen gegenüber Medien und gewählten Vertreter_innen (zum Download der Studie geht es hier). Für zwei Fünftel der Befragten waren die Mahnwachen die erste Protesterfahrung. Bei den PEGIDA-Protesten dürfte die Zahl der Protesteinsteiger_innen noch höher liegen. Vieles spricht dafür, dass die Dresdner Proteste jene Demokratieverdrossenen auf die Straße bringen, denen bislang politische Apathie nachgesagt wurde.
Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Entwicklungen stehen die PEGIDA für eine Verschiebung in der deutschen Protestkultur. Ein vorher nur insulär oder nicht öffentlich sichtbares Ressentiment erscheint in der bekannten Form der Straßendemonstration – eine Politikform die viele Jahre mit der politischen Linken in eins gesetzt wurde.
Dass sich so viele Dresdner_innen öffentlich zu völkischen und rassistischen Positionen bekennen hat viel mit einer veränderten Alltagskommunikation zu tun. Die wird nicht mehr bestimmt durch die Tagesschau, sondern durch die Facebook- oder Twitter-Timeline. Journalist_innen und die von ihnen befragten Parteipolitiker_innen dominieren immer weniger die Auswahl und Deutung von Informationen. Was als wichtig und richtig angesehen wird, entscheidet sich in Teilöffentlichkeiten, die durch soziale Netzwerke vermittelt werden. Wie schon die Montagsmahnwachen sind die PEGIDA-Proteste über Facebook organisiert und verbreitet worden. Beide Protestbewegungen bestärken sich auf der Basis von Informationen, die von etablierten Medien vermeintlich verschwiegen werden.
Die Montagsproteste schaffen ein analoges Forum, in dem das gemeinsame Bekenntnis in den öffentlichen Raum getragen wird. Mächtig wird die öffentliche Artikulation durch die enorme Resonanz in den verhassten professionellen Medien. Im Rausch der Aufmerksamkeit offenbart sich die Relevanz der eigenen Position; das Gehört-Werden erhöht die Motivation, wieder zu kommen oder zu den Protesten hinzu zu stoßen.
Die medial verstärkte Melange von Ressentiments gegen Minderheiten und einer verallgemeinerten Kritik an Demokratie und Medien, die sich bei den PEGIDA-Protesten beobachten lässt, ist eine fulminante Herausforderung für die demokratische Kultur der Bundesrepublik. Parteien, Religionsgemeinschaften und Verbände, Medien und menschrechtsorientierte Initiativen aus der Zivilgesellschaft müssen einen Umgang mit diesen Artikulationen finden, der die Vorurteile nicht bestätigt, sondern Irritationen schafft. Andernfalls drohen die weit verbreitete Neigung zu einer autoritären Option und die Infragestellung der unteilbaren Menschenrechte zu einer dauerhaften politischen Bewegung zu werden, in der die Nische der extremen Rechten zum Mainstream wird.
Foto: Caruso Pinguin (cc, via flickr)