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Call for Papers: Policing von Widerstand im Alltag

Workshop des AK Soziale Bewegungen und Polizei des Instituts für Protest und Bewegungsforschung am 3.11.2023, Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin

Deadline für Einreichungen: 30. Juni 2023

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In der Regel beschäftigt sich die Forschung zum Protest Policing mit öffentlichen Versammlungen sozialer Bewegungen, also Demonstrationen. Einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des polizeilichen Umgangs mit Protest leisteten dabei die Forschungen zu globalen Protestereignissen, wie zu den Konfrontationen während den WTO-Protesten in Seattle 1999 (Wood 2007), des G8-Gipfels in Genua 2008 (della Porta, Reiter und Peterson 2006) oder den Massenprotesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 (Malthaner u. a. 2018). In unserem Jahresworkshop 2023 wollen wir den Fokus verschieben und den polizeiliche Umgang mit Widerstand im Alltag beleuchten, der sowohl von den Massenmedien als auch der Protest Policing-Forschung selten in den Blick genommen wird. Die Hinwendung zum Alltagsleben ist nicht nur ein wissenschaftliches Unterfangen. Sie wird auch immer stärker von Aktivist:innen vollzogen, die die Waren- und Personenströme im Rahmen von Klimaaktionen stören, sich für kommunale Solidarität engagieren oder sich mehr oder weniger kollektiv weigern, ihre Rolle am Arbeitsplatz zu spielen. Wie Jacques Ranciére (1999) treffend formulierte, fordern diese Anlässe des Politischen eine polizeiliche Reaktion heraus, die die Dinge wieder in Ordnung bringt und Menschen wieder auf ihren Platz zu setzt. Aber auch der Fokus der empirischen Polizeiforschung verschiebt sich, wenn wir ‚Devianz‘ und ‚Regelübertretungen‘ als Widerstandsakte verstehen. Daher rufen wir auch die Polizeiwissenschaft dazu auf, die tägliche Polizeiarbeit als ein Policing des Widerstands im Alltag neu zu betrachten.

Einerseits erlaubt uns ein Fokus auf den Widerstand im Alltag, die heterogenen Beziehungen zwischen Polizei und Protest zu diskutieren. Eine Vielzahl historischer Ereignisse unterstreicht die Bedeutung der polizeilichen Unterdrückung und Kontrolle alltäglichen Widerstands für die Entstehung sozialer Bewegungen. Man denke nur an die Verhaftung der Schwarzen Bürgerrechtlerin Rosa Parks, die Massenproteste gegen die fortbestehende color line (Du Bois 1935) in den Vereinigten Staaten auslöste. Man denke auch an das „stille Vordringen“ (Bayat 2013) marginalisierter Gruppen, die sich auf der ganzen Welt weigern, aus den gentrifizierten und kommerzialisierten urbanen Zentren ausgeschlossen zu werden, und daran, wie Institutionen der sozialen Kontrolle ihr Recht auf die Stadt unterdrücken. Oder man erinnere sich an die harschen polizeilichen Reaktionen auf Jugendliche, die während der Coronalockdowns öffentliche Räume zurückeroberten, gerade im Gegensatz zum under policing des täglichen Ungehorsams rechter Aktivisten gegen Maskenmandate. In all diesen Fällen spielte die Polizeiarbeit eine Rolle für das Entstehen und Nicht-Entstehen sozialer Bewegungen. Die Auswirkungen polizeilicher Kontrolle sind jedoch keineswegs linear oder determiniert. Vielmehr müssen sie als Effekt eines situierten Zusammenspiels wechselseitiger praktischer Reaktionen von (noch nicht) Aktivisten und Polizei innerhalb bestimmter Strukturen empirisch untersucht und theoretisch reflektiert werden.

Andererseits gehören Ungehorsam im Alltag, kleine spontane Proteste und die Kontrolle von marginalisierten Gruppen zum Tagesgeschäft der Polizei und anderer Sicherheitsdienste. Für die einen mag die Polizei eine fast unsichtbare Infrastruktur sein, die ihr tägliches politisches Engagement ermöglicht und aufrechterhält, für andere gehört over policing und polizeiliche Überwachung zum routinemäßigen Protestalltag. Wir interessieren uns daher nicht nur für die politischen Subjektivitäten, die aus diesen Begegnungen und längerfristigen Interaktionen hervorgehen können, sondern auch dafür, wie die Polizei Widerstand im Alltag analysiert, vorbeugt, Polizeiaktionen in diesem Kontext durchführt und erlebt. Unser Fokus auf das Policing von alltäglichem Widerstand umfasst daher auch die neuen Überwachungstechnologien, die es der Polizei ermöglichen, das Leben und die Organisierungsprozesse von Aktivist:innen immer stärker zu durchdringen.

Mögliche Fragen könnten dabei sein:

  • Welche Merkmale kennzeichnen das Policing von Widerstand im Alltag? Wie verändert die Charakterisierung von ‚Devianz‘ als Widerstand unsere analytische Sicht auf polizeiliche Praktiken?
  • Wie trägt das Policing des Widerstands zur Entstehung politischer Subjektivität und sozialer Bewegungen und deren Aufstieg und Niedergang bei? Wie dringt das Policing in das alltägliche Leben von Aktivist:innen und ihre Organisationspraktiken ein?
  • Wie trägt die polizeiliche Reaktion dazu bei, dass eine soziale Abweichung oder Routinestörung überhaupt als „Widerstand“ erscheint und trägt damit zur Entstehung und Dynamik kollektiver Identitäten nicht-kollektiver Akteure bei?
  • Welche Auswirkungen hat das Policing auf die Dynamik des sozialen Protests und die Artikulation sozialer Fragen? Wie beeinflusst das Policing die Entwicklung sozialer Bewegungen in diesem Kontext?
  • Wie trägt Policing dazu bei, alltägliche Praktiken in Akte des Widerstands zu verwandeln?
  • Wie rahmt und kontrolliert die Polizei Widerstand im Alltag? Wie erleben Polizist:innen den Widerstand im Alltag und wie reagieren sie auf ihn? Wie interagieren Polizei und Aktivist:innen alltäglich miteinander? Welche Technologien der Überwachung sind an diesen Interaktionen beteiligt und wie prägen sie die polizeiliche und aktivistische Praxis?
  • Wie überschneidet sich das Policing von Widerstand im Alltag mit dem Policing von ‚Race‘, Klasse und Geschlecht?
  • Welche Rolle spielt das Policing des Widerstands im Alltag bei der Bildung von Klassenverhältnissen und Milieus? Wie können wir die Rolle von Polizei und Policing bei der Entstehung sozialer Ungleichheiten (einschließlich ihrer Schnittpunkte mit Rassismus, Patriarchat, Ableismus und anderen Formen der Unterdrückung) theoretisch erfassen?

Veranstaltungsdatum: 3.11.2023

Deadline für die Einreichung: 30.6.2023

Ort: hybride Konferenz, Präsenzveranstaltung findet am Zentrum Technik- und Gesellschaft Berlin (ZTG) statt

Organisation: Philipp Knopp, Stephanie Schmidt, Roman Thurn und Peter Ullrich

Bitte senden Sie Ihren Abstract (max. 250 Wörter) an ipb_police(at)tutanota.com. Workshopbeiträge sollten eine Länge von 15-20 Minuten haben.

Mehr Informationen zum AK Soziale Bewegungen und Polizei

Literatur

Bayat, Asef. 2013. Life as politics. How ordinary people change the Middle East. Stanford, California: Stanford University Press.

Du Bois, William E. B. 1935. Black Reconstruction in America 1860 – 1880. New York, NY: The Free Press.

Malthaner, Stefan u. a. 2018. „Eskalation. Dynamiken der Gewalt im Kontext der G20-Proteste in Hamburg 2017“. Berlin: Institut für Protest- und Bewegungsforschung. https://g20.protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2018/09/Eskalation_Hamburg2017.pdf.

della Porta, Donatella, Herbert Reiter, und Abby Peterson. 2006. „Policing Transnational Protest. An Introduction“. In The Policing of Transnational Protest, herausgegeben von Donatella della Porta, Abby Peterson, und Herbert Reiter, 1–12. Aldershot: Ashgate Publishing.

Rancière, Jacques. 1999. Disagreement. Politics and Philosophy. Minneapolis: University of Minnesota Press.

Wood, Lesley. 2007. „Breaking the Wave. Repression, Identity, and Seattle Tactics“. Mobilization. An International Quarterly 12 (4): 377–88.

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